Zusammenfassung
Einige wesentliche Kernaussagen aus der aktualisierten internationalen PCOS(polyzystisches Ovarsyndrom)-Leitlinie werden in diesem Beitrag zusammengefasst werden. Zwar gelten für die Diagnostik des PCOS weiterhin die Rotterdam-Kriterien. Neu ist, dass der AMH(Anti-Müller-Hormon)-Wert einen Stellenwert in der Diagnostik erhalten hat. Dieser kann anstelle der transvaginalen Sonographie genutzt werden. Da Frauen mit PCOS ein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko und ein erhöhtes Risiko für eine Glukosetoleranzstörung bzw. die Entwicklung eines Diabetes mellitus Typ 2 haben, sollte bei Frauen mit PCOS bei Erstdiagnose eine Blutdruckmessung, ein Lipidprofil und ein 75-g-OGTT (oraler Glukosetoleranztest) erfolgen. Des Weiteren sollten Frauen mit PCOS über mögliche Lebensstilinterventionen aufgeklärt werden. Diesbezüglich gilt zu berücksichtigen, dass keine Diät einer anderen für die Gewichtsreduktion überlegen ist. Des Weiteren ist jede körperliche Aktivität günstig, unabhängig von der Art des Trainings.
Abstract
Some of the key statements from the updated international guidelines on polycystic ovarian syndrome (PCOS) are summarized in this article. The Rotterdam criteria still apply for the diagnostics of PCOS. What is new is that the anti-Mullerian hormone (AMH) value has been given a place in the diagnostics and can be used instead of transvaginal sonography. As women with PCOS have an increased cardiovascular risk and an increased risk for a glucose tolerance disorder or the development of type 2 diabetes mellitus, in women with PCOS a blood pressure measurement, a lipid profile and a 75 g oral glucose tolerance test (OGTT) should be carried out at the initial diagnosis. Furthermore, women with PCOS should be informed about possible lifestyle interventions. In this respect, it should be noted that no diet is superior to another for weight loss. Furthermore, any physical activity is beneficial, regardless of the type of exercise.
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Aktuelle PCOS–Leitlinien
2018 wurde die internationale Leitlinie zur Diagnostik und dem Management bei Frauen mit polyzystischem Ovarsyndrom (PCOS) veröffentlicht [1], 2023 wurde die überarbeitete Version publiziert [2]. 2021 ist die erste Deutsche Leitlinie als S2k-Leitlinie mit dem Titel „Diagnostik und Therapie des polyzystischen Ovarsyndroms (PCOS)“ angemeldet worden; eine Fertigstellung ist bis Ende 2024 zu erwarten [3]. Da es zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch keine Veröffentlichung der deutschen Leitlinie gibt, sollen in diesem Artikel einige der aktuellen Empfehlungen aus der internationalen Leitlinie 2023 [2] vorgestellt werden. In dieser Leitlinie [2] sind sowohl evidenzbasierte Empfehlungen mit einem hohen Level an Evidenz als auch sog. Konsensusempfehlungen erstellt worden. Letztere sind mit geringerer Evidenz, aber innerhalb der Leitliniengruppe mit einem hohen Konsensus abgestimmt worden. Des Weiteren gibt es in der aktuellen internationalen Leitlinie [2] noch „praktische Punkte“ („practice points“), die aufgrund der intensiven Diskussion innerhalb der Leitliniengruppe entwickelt wurden und einen Bezug zu den Empfehlungen haben.
Im Folgenden sollen einige Empfehlungen zur Diagnostik, den Risikofaktoren und den Lebensstilinterventionen vorgestellt werden. Die Leitlinie [2] hat darüber hinaus noch ein ganzes Kapitel zur Prävalenz, zum Screening und zum Management von psychologischen Faktoren bei Frauen mit PCOS. Des Weiteren gibt es Kapitel zu Therapieoptionen bei Frauen ohne Kinderwunsch und ein Kapitel zum Assessment und Therapie bei Frauen mit Kinderwunsch. Auf diese Kapitel wird aus Kapazitätsgründen in diesem Artikel nicht eingegangen.
Diagnostik
Immer wieder wird diskutiert, ob die international anerkannten Rotterdam-Kriterien [4] für die Diagnostik des PCOS noch aktuell sind. Die aktuelle Leitlinie [2] arbeitet heraus, dass diese nach evidenzbasierten Kriterien weiterhin gelten, allerdings wird bei Erwachsenen neu zu den Kriterien das Anti-Müller-Hormon (AMH) hinzugefügt.
Die Rotterdam-Kriterien gelten nach wie vor, neues Kriterium ist für Erwachsene das AMH
Des Weiteren ist den Autoren der Leitlinie wichtig und neu in den Diagnosekriterien, dass andere Ursachen für eine Amenorrhö oder eine Hyperandrogenämie ausgeschlossen werden (wie etwa eine Schilddrüsenüber- oder -unterfunktion, eine Hyperprolaktinämie oder ein nichtklassisches adrenogenitales Syndrom [AGS]). Bei Jugendlichen soll zur Diagnostik allerdings weder der AMH-Level noch der Ultraschall verwendet werden (Tab. 1).
Oligo- und Anovulation
Für Frauenärztinnen und Frauenärzte ist die Diagnostik der Oligo- bzw. Anovulation anhand der Anamnese eine routinierte Übung. Für andere Fachdisziplinen ist dies aber häufig nicht ganz eindeutig, sodass die Definition der Zyklusunregelmäßigkeit bzw. der ovulatorischen Dysfunktion in einer Konsensusempfehlung und mit praktischen Hinweisen dargelegt wird [2]. Insbesondere wird darauf hingewiesen, dass ein unregelmäßiger Zyklus im ersten Jahr nach der Menarche normal ist und auch im zweiten Jahr nach der Menarche etwa die Hälfte der Jugendlichen einen unregelmäßigen Zyklus zwischen 21 und 45 Tagen haben. Daher ist der Zeitpunkt für die Diagnose der Oligo‑/Anovulation im Jugendalter herausfordernd und durchaus mit den Eltern und der Betroffenen zu diskutieren, da eine sogenannte Überdiagnose vermieden werden sollte. Die Empfehlung geht daher auf den Zeitpunkt nach der Menarche ein.
Konsensusempfehlung zum Zyklus (Leitlinie 1.1.1 [2])
Die Diagnose des unregelmäßigen Zyklus ist erst ein Jahr nach der Menarche möglich, da vorher der unregelmäßige Zyklus normal ist. Nach dem ersten Jahr der Menarche besteht ein unregelmäßiger Menstruationszyklus, wenn
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die Zykluslänge bis 3 Jahre nach der Menarche kürzer als 21 Tage oder länger als 45 Tage ist,
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nach über 3 Jahren nach der Menarche die Zykluslänge kürzer als 21 Tage oder länger als 35 Tage ist oder wenn weniger als 8 × pro Jahr eine Menstruationsblutung erfolgt,
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die Zykluslänge länger als 90 Tage ist,
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eine primäre Amenorrhö nach dem 15 Lebensjahr oder 3 Jahre nach der Thelarche besteht.
Klinische und/oder biochemische Hyperandrogenämie
Für die klinische Hyperandrogenämie wird von den Autoren festgehalten, dass der Hirsutismus alleine schon ein guter Prädiktor für die biochemische Hyperandrogenämie ist, dagegen sind Effluvium oder Akne ohne Hirsutismus eher schwache Indikatoren für eine biochemische Hyperandrogenämie. Für die Beurteilung und Objektivierung des Hirsutismus sollte weiterhin der modifzierte Ferriman-Gallwey-Score (mFG) verwendet werden, allerdings sollte hier auf ethnische Unterschiede geachtet werden. Des Weiteren gibt die Leitlinie als praktischen Hinweis an, dass Frauen häufig aus kosmetischen Gründen die Körperhaare in bestimmten Regionen entfernen, sodass die Objektivierung des Hirsutismus schwierig werden kann [2].
Für die laborchemische Untersuchung der Hyperandrogenämie stellt die Leitlinie detailliert dar, welche Messparameter gemessen werden sollen. Insbesondere gibt die Leitlinie [2] die höchste Sensitivität und Spezifität für das berechnete freie Testosteron oder den freien Androgenindex (FAI) an. Speicheltests für Testosteron oder Dehydrotestosteron (DHT) haben zum aktuellen Zeitpunkt keine hohe Evidenz. In der Leitlinie werden auch 2 Empfehlungen zu den Labortechniken gegeben: Es sollen validierte, hochpräzise Tandem-Massenspektrometrie-Tests zur Messung des gesamten Testosterons erfolgen, und das freie Testosteron sollte berechnet werden (evidenzbasierte Empfehlung 1.2.3). Diese Tandem-Massenspektrometrie-Tests sollen gegenüber Immunoassays bevorzugt werden, da letztere eine begrenzte Genauigkeit, geringe Sensitivität und Präzision haben (evidenzbasierte Empfehlung 1.24).
Messung der biochemischen Hyperandrogenämie:
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evidenzbasierte Empfehlung 1.2.1: Das gesamte und das freie Testosteron sollte bestimmt werden, letzteres soll über den FAI berechnet werden.
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evidenzbasierte Empfehlung 1.2.2: Wenn das gesamte Testosteron oder der FAI nicht erhöht sind, können Androstendion und Dehydroepiandrostendionsulfat (DHEAS) bestimmt werden.
Als praktischen Hinweis gibt die Leitlinie vor, dass eine Bestimmung der Androgene vor allem dann durchgeführt werden sollte, wenn keine Hinweise für eine klinische Hyperandrogenämie bestehen und die Diagnose PCOS überprüft werden soll.
In der Regel ist es nicht notwendig, die biochemischen Werte mehrfach zu überprüfen
Des Weiteren wird festgestellt, dass unter der Einnahme eines (kombinierten) hormonellen Kontrazeptivums eine Bestimmung der Androgene nicht sinnvoll ist, sondern dass vor einer Bestimmung der laborchemischen Hyperandrogenämie ein (kombiniertes) hormonelles Kontrazeptivum mindestens 3 Monate abgesetzt werden sollte. Außerdem gilt zu beachten, dass es nicht notwendig ist, die biochemischen Werte mehrfach zu überprüfen. Das heißt: Wenn in früheren Analysen bereits eine biochemische Hyperandrogenämie nachgewiesen wurde, ist in der Regel keine Kontrolle notwendig.
Sonographische polyzystische Ovarmorphologie (PCOM)
Durch die technischen Verbesserungen der Ultraschallgeräte wurden die ursprünglichen sonographischen Kriterien, die 2003 durch die Rotterdam-Konsensuskonferenz [4] festgelegt wurden, überarbeitet. Ursprünglich galt es als sonomorphologisches Kriterium für die Diagnose eines PCO-typischen Ovars, wenn 12 und mehr antrale Follikel (2–9 mm Durchmesser) an einem Ovar darstellbar werden konnten. Aufgrund der verbesserten Technologie besteht allerdings die Gefahr für eine Überdiagnose – insbesondere bei Jugendlichen, da diese physiologisch häufig sehr viele antrale Follikel haben, ohne dass sich ein POCS daraus entwickelt. Daher wird die Sonographie und die Ermittlung der PCOM bei Jugendlichen nicht empfohlen. Für erwachsene Frauen legt die aktuelle Leitlinie [2] für die Diagnose fest, dass eine Follikelanzahl von ≥ 20 Follikel in einem Ovar wegweisend ist (Abb. 1).
Bei sonographischer Diagnostik besteht v. a. bei Jugendlichen das Risiko einer Überdiagnose
Interessanterweise gibt die aktuelle Leitlinie auch eine Empfehlung für die Situation, wenn die technischen Möglichkeiten nicht so fortgeschritten sind: „wenn ältere technische Modelle bzw. die Bildqualität unzureichend ist, darf eine PCOM bereits bei einer Follikelanzahl von ≥ 10 oder einem Volumen von 10 ml in einem Ovar“ (Konsensusempfehlung 1.4.5) festgestellt werden.
Anti-Müller-Hormon
Das AMH ist ein Polypeptid, das von den Granulosazellen in den antralen Follikeln sezerniert wird und mit der Anzahl an antralen Follikel korreliert. Zum ersten Mal wird das AMH in die Kriterien zur Beurteilung des PCOS aufgenommen und kann sogar anstelle der Sonographie als Diagnostikum verwendet werden. Ein tatsächlicher Cut-off-Wert wird nicht festgelegt, allerdings werden folgende Empfehlungen und in den praktischen Tipps folgende Hinweise gegeben:
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Der Serum-AMH-Wert sollte nicht als alleiniger Parameter für die Diagnose des PCOS gewählt werden (evidenzbasierte Empfehlung 1.5.3).
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Wenn die Patientin keine Hyperandrogenämie oder unregelmäßige Periode hat, ist eine Bestimmung des AMH-Wertes nicht notwendig (evidenzbasierte Empfehlung 1.5.2).
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Der AMH-Wert sollte nicht bei Jugendlichen als diagnostisches Kriterium für ein PCOS bestimmt werden (evidenzbasierte Empfehlung 1.5.4).
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Der AMH-Wert ist generell etwas niedriger bei erhöhtem BMI (Body-Mass-Index; praktischer Hinweis 1.5.6).
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Unter hormonellen Kontrazeptiva ist der AMH-Wert erniedrigt (praktischer Hinweis 1.5.6).
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Der Serum-AMH-Level kann zyklusbedingt unterschiedlich sein (praktischer Hinweis 1.5.6).
Insbesondere letzter Hinweis ist wichtig, da bis vor kurzem davon ausgegangen wurde, dass der Serum-AMH-Level während des Menstruationszyklus stabil ist. Von einigen Studien [5, 6] wurde mittlerweile nachgewiesen, dass der Wert in der Follikelphase etwas höher ist als in der Lutealphase, sodass das Timing bei der Hormonanalyse berücksichtigt werden sollte.
Risikobewertung
Die Leitlinie bewertet einige Erkrankungsrisiken, die mit dem Vorliegen eines PCOS vergesellschaftet sind, dazu gehören neben dem kardiovaskulären Risiko und der Entwicklung eines Diabetes mellitus auch das Risiko für die Entwicklung eines Schlafapnoesyndroms oder eines Endometriumkarzinoms. Im Folgenden soll allerdings nur auf die Empfehlungen zum kardiovaskulären Risiko und der gestörten Glukosetoleranz bzw. eines Diabetes mellitus Typ 2 eingegangen werden.
Kardiovaskuläres Risiko
Die Leitlinie stellt die Frage, ob Frauen mit einem PCOS ein erhöhtes Risiko für eine kardiovaskuläre Erkrankung haben. Um diese Frage zu beantworten, haben die Autoren/innen der Leitlinie sämtliche Metaanalysen mit dem Outcome der kardiovaskulären Erkrankungen überprüft. Einige Studien untersuchten das Risiko bei Frauen mit PCOS für Myokardinfarkt oder Schlaganfall oder sämtliche kardiovaskulären Erkrankungen oder auch die kardiovaskuläre Mortalität. Die OR (Odds Ratio) oder die Inzidenz für eine der genannten Erkrankungen war für Frauen mit PCOS in allen Studien höher als für Frauen ohne ein PCOS, allerdings war die Evidenzstärke meistens niedrig oder sogar sehr niedrig. Daher kommen die Autoren der internationalen Leitlinie zu folgenden Empfehlungen:
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Evidenzbasierte Empfehlung (1.8.1): Auch wenn das absolute Risiko für eine kardiovaskuläre Erkrankung vor der Menopause gering ist, sollte berücksichtigt werden, dass Frauen mit PCOS ein erhöhtes Risiko für eine kardiovaskuläre Erkrankung und sogar eine erhöhte Mortalität aufgrund von kardiovaskulären Erkrankungen haben.
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Evidenzbasierte Empfehlung (1.8.2): Alle Frauen mit PCOS sollten auf Risikofaktoren für eine kardiovaskuläre Erkrankung untersucht werden.
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Konsensusempfehlung (1.8.3): Zu der Ermittlung der Risikofaktoren zählen die Messung der Lipide (Gesamt-Cholesterin, LDL[„low-density lipoprotein“]- und HDL[„high-density lipoprotein“]-Cholesterin) bei Erstdiagnose des PCOS.
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Konsensusempfehlung (1.8.4): Alle Frauen mit PCOS sollten mindestens einmal jährlich eine Blutdruckmessung erhalten.
Gestörte Glukosetoleranz und Diabetes
Seit vielen Jahren ist bekannt, dass Frauen mit PCOS ein erhöhtes Risiko für eine gestörte Glukosetoleranz und die Entwicklung eines Diabetes mellitus Typ 2 haben. Die Frage nach dem Screening für eine gestörte Glukosetoleranz wiederum wird umstritten diskutiert. An der aktuell entstehenden AWMF(Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften)-Leitlinie [3] sind sowohl internistische als auch gynäkologisch-endokrinologische Experten/innen beteiligt, und es stellte sich heraus, dass ein Großteil der gynäkologischen Expert/innen den HOMA(Homeostasis Model Assessment)-Index mehr oder weniger regelmäßig anwenden, die internistischen Expert/innen diesen nicht empfehlen, da es keine validen Daten zu der Sensitivität bzw. dem Vorhersagewert des HOMA-Indexes gibt. Aufgrund dieser reduzierten Daten sollte der HOMA-Index nicht als diagnostisches Kriterium für die Bestimmung der Insulinresistenz genutzt werden. Dies entspricht auch dem praktischen Hinweis (1.9.12) aus der aktuellen internationalen Leitlinie, deren Autoren/innen feststellen, dass eine Insulinresistenz bei Frauen mit PCOS pathophysiologisch ist und nicht getestet werden kann, da es keine valide Methode für die Messung gibt. Die internationale Leitlinie gibt die Empfehlung, dass jede/jeder, der oder die Frauen mit PCOS behandelt und berät, dafür sensibilisiert sein sollte, dass Frauen mit PCOS ein erhöhtes Risiko für eine gestörte Glukosetoleranz oder auch für die Entwicklung eines Typ-2-Diabetes haben (EBR 1.9.1) und gibt folgende Empfehlungen für die Diagnostik:
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evidenzbasierte Empfehlung (1.9.9): Ein 75-g-OGGT ist der genaueste Test für den glykämischen Status und sollte bei Frauen mit PCOS unabhängig vom BMI immer durchgeführt werden.
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Evidenzbasierte Empfehlung (1.9.10): Nur wenn ein 75-g-OGTT nicht durchführbar ist, wäre es möglich, den Nüchternglukosewert und/oder das glykolisierte Hämoglobin (HBA1c) zu bestimmen.
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Evidenzbasierte Empfehlung (1.9.11): Wenn eine Frau mit PCOS eine Schwangerschaft plant, sollte bereits vor Eintritt der Schwangerschaft die Durchführung eines 75-g-OGTT erwogen werden.
Lebensstilinterventionen
Die Prävalenz für Übergewicht und Adipositas nimmt generell weltweit zu, laut WHO (World Health Organization) sind in Europa 59 % der Erwachsenen übergewichtig oder adipös [7]. Frauen mit PCOS haben ein erhöhtes Risiko für Übergewicht und Adipositas mit einer Prävalenz von durchschnittlich 61 % [8]. Im Vergleich zu Frauen ohne PCOS haben Frauen mit PCOS einen signifikant höheren BMI, einen größeren Hüftumfang und eine höhere WHR („waist-to-hip-ratio“; [9]). Des Weiteren zeigen die Studien, dass eine Gewichtsreduktion um nur 5 % bereits einen positiven Effekt auf das metabolische Syndrom, aber auch auf die Fertilität und schließlich auf psychologische Faktoren hat [2]. Daher wird in der aktuellen internationalen Leitlinie ein ganzes Kapitel den Lebensstilinterventionen gewidmet (Kapitel 3). Ein zentraler Hinweis ist, dass Ärztinnen und Ärzte bzw. sämtliche Fachkräfte des Gesundheitswesens sich bewusst sein sollten, dass die Lebensstilintervention eine zentrale Maßnahme in der Behandlung des PCOS ist (praktischer Hinweis 3.1.3). Des Weiteren sollten diese Maßnahmen lebenslang fortgeführt werden (praktischer Hinweis 3.1.6). Im Folgenden sollen ein paar Hinweise auf mögliche Lebensstilinterventionen gegeben werden.
Ernährung
Immer wieder wird postuliert, dass eine Form der Ernährung in der Gewichtsreduktion einer anderen Form der Ernährung überlegen ist. Die aktuelle Leitlinie legt sehr schön dar, dass es vor allem um die Reduktion der Kalorienzufuhr geht, unabhängig davon, auf welche Art und Weise dies gelingt. Es wurden unterschiedliche Interventionsstudien mit verschiedenen Diätformen durchgeführt, dazu zählen Diätformen wie proteinreiche Kost, Low-carb-Kost oder Intervallfasten und weitere; keine Studie konnte eine klare Überlegenheit in Hinblick auf die Reduktion des Hüftumfangs, der WHR oder auch des Nüchterninsulins oder des FAI nachweisen. Metaanalysen zum kardiovaskulären Risiko zeigen, dass eine gemüse- und obsthaltige Ernährung in Kombination mit fettarmen Milchprodukten, Hülsenfrüchten, Nüssen, Vollkorngetreide und niedrigem Gehalt an gesättigten Fettsäuren, Cholesterin, verarbeiteten Fleisch und zuckerhaltigem Essen/Getränke das Risiko wahrscheinlich reduziert [10]. Die Leitlinie kommt daher zu folgenden Empfehlungen:
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Evidenzbasierte Empfehlung 3.31: Es sollte jedem bewusst sein, dass keine Diät einer anderen für die Verbesserung von metabolischen, hormonellen, fertilitätsbeeinflussenden oder psychologischen Faktoren überlegen ist.
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Konsensusempfehlung 3.3.2: In Bezug auf die Empfehlung 3.3.2 sollte eine nachhaltige und gesunde Ernährung empfohlen werden, die auf individuelle Vorlieben und Ziele zugeschnitten ist.
Körperliche Aktivität
Es ist mittlerweile anerkannt, dass in der Allgemeinbevölkerung körperliche Aktivität im Sinne von Ausdauertraining in Kombination mit Krafttraining klare gesundheitliche Vorteile aufweist. In der nationalen Empfehlung von 2017 für Bewegung und Bewegungsförderung von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) wird für Erwachsene empfohlen, mindestens 150 min/Woche Ausdauertraining mit moderater Aktivität oder mindestens 75 min/Woche Ausdauertraining mit höherer Intensität durchzuführen. Dies sollte idealerweise mit einem Krafttraining an mindestens 2 Tagen in der Woche kombiniert werden. Diese Angaben beziehen sich auf den Erhalt der Gesundheit.
Einige Studien untersuchen den Effekt von körperlicher Aktivität auf verschiedene Outcomes bei Frauen mit PCOS [11,12,13], letztendlich ist kein Training dem anderen überlegen. Daher kommt die Leitlinie zu folgenden Empfehlungen:
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Konsensusempfehlung (3.4.2): Es sollte eine körperliche Aktivität empfohlen werden, die auf individuelle Vorlieben und Ziele zugeschnitten ist.
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Konsensusempfehlung (3.4.3): Die Gesamtzeit der sitzenden oder körperlich inaktiven Zeit sollte insgesamt reduziert werden. Stattdessen sollte zur Gewichtsreduktion mindestens 250 min/Woche ein moderates Training oder mindestens 150 min/Woche ein intensiviertes Training jeweils in Kombination mit Krafttraining durchgeführt werden. Idealweise sollte dieses Training an 2 nicht aufeinanderfolgenden Tagen pro Woche durchgeführt werden.
Faktoren, die Fertilität und Schwangerschaft beeinflussen
In der Leitlinie wird auf die „preconception care“ hingewiesen, für das es im deutschen Sprachgebrauch kein eindeutiges Pendant gibt. Es handelt sich um Maßnahmen, die dafür sorgen sollen, dass mögliche beinflussbare Gesundheitsrisiken bereits vor Entstehung einer Schwangerschaft erkannt und somit modifiziert werden können. Dazu zählen für alle Frauen unabhängig davon, ob sie ein PCOS haben oder nicht, BMI, Rauchverhalten, Alkoholkonsum, vorherbestehende Erkrankungen (z. B. Diabetes mellitus, Hypertonus, Epilepsie) und weitere. Bei Frauen mit PCOS besteht außerdem ein höheres Risiko für Schwangerschaftskomplikationen, wie ein Gestationsdiabetes (GDM), Frühgeburten, Schwangerschaftshypertonus, Präeklampsie oder auch Fehlgeburten. Des Weiteren dauert es bei Frauen mit PCOS häufig länger, bis eine gewünschte Schwangerschaft eintritt. Daher empfehlen die Autoren der Leitlinie, dass Frauen mit PCOS, die eine Kinderwunschbehandlung durchführen werden, dazu beraten werden sollten, dass eine starke Gewichtszunahme einen negativen Einfluss auf den Schwangerschaftsverlauf, die Fehl- und die Lebendgeburtenrate haben. Als praktischen Hinweis empfehlen die Autoren der Leitlinie, einen „reproductive life plan“ zu erstellen. Dazu zählt, dass bei Jugendlichen und Frauen mit PCOS eine altersgerechte Aufklärung zum gesunden Lebensstil, Vermeidung von Übergewicht und Reduktion von möglicherweise bereits bestehenden Risikofaktoren erfolgen sollte.
Fazit für die Praxis
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Der AMH(Anti-Müller-Hormon)-Wert kann statt der Sonographie für die Diagnostik des polyzystischen Ovarsyndroms (PCOS) bei Erwachsenen eingesetzt werden.
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Frauen mit PCOS haben ein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko und sollten mindestens bei der Erstdiagnose dafür gescreent werden (mittels Serum-Cholesterin, LDL [„low-density lipoprotein“], HDL [„high-density lipoprotein“]).
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Zur Diagnostik einer pathologischen Glukosetoleranz sollte der 75-g-OGTT (oraler Glukosetoleranztest) verwendet werden. Nur in Ausnahmefällen kann der Nüchternglukosewert oder der HbA1c statt des OGTT zur Beurteilung der Glukosetoleranzstörung verwendet werden.
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Lebensstilinterventionen sind zentrale Faktoren in der Behandlung des PCOS.
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Keine Diät ist einer anderen für die Gewichtsreduktion überlegen.
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Keine Art der körperlichen Aktivität ist der anderen für die Gewichtsreduktion überlegen.
Literatur
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Interessenkonflikt
K. Hancke gibt an: eingeladene Vorträge über das PCOS von Ferring, Gedeon Richter.
Für diesen Beitrag wurden von den Autor/-innen keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien.
Additional information
Redaktion
Katrin Schaudig, Hamburg
Ludwig Wildt, Innsbruck
Hinweis des Verlags
Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.
Erstveröffentlichung in Die Gynäkologie (2024) 57:599–605. https://doi.org/10.1007/s00129-024-05263-5
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Hancke, K. Die neue PCOS-Leitlinie – Kernaussagen für Diagnostik, Risikobewertung und Lebensstilinterventionen. Gynäkologische Endokrinologie (2024). https://doi.org/10.1007/s10304-024-00595-w
Published:
DOI: https://doi.org/10.1007/s10304-024-00595-w
Schlüsselwörter
- Polyzystisches Ovarsyndrom
- Insulinresistenz
- Anti-Müller-Hormon
- Lebensstilinterventionen
- Lipidstoffwechsel