FormalPara Koordinierende_r Leitautor_in

Ulrike Schneider

FormalPara Beitragende Autor_innen

Anita Susani und Tommaso Gimelli

FormalPara Koordination der Strukturkapitel

Michael Ornetzeder

FormalPara Revieweditor

Michael Opielka

FormalPara Zitierhinweis

Schneider, U. (2023): Sozialstaat und Klimawandel. In: APCC Special Report: Strukturen für ein klimafreundliches Leben (APCC SR Klimafreundliches Leben) [Görg, C., V. Madner, A. Muhar, A. Novy, A. Posch, K. W. Steininger und E. Aigner (Hrsg.)]. Springer Spektrum: Berlin/Heidelberg.

FormalPara Kernaussagen des Kapitels

Status quo und Dynamik

  • Das österreichische Gesundheits- und Sozialsystem ist durch den Klimawandel deutlich und zunehmend belastet. (hohe Übereinstimmung, starke Literaturbasis)

  • Der CO2-Fußabdruck des österreichischen Gesundheitssystems ist näherungsweise bekannt und beachtlich. (hohe Übereinstimmung, mittlere Literaturbasis)

    Für das Sozialwesen liegen noch keine Befunde vor.

  • Energiepolitische Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels erhöhen teilweise Armutsrisiken, verschärfen Armutslagen und soziale Exklusion (Energiearmut, Herausforderung hinsichtlich der Leistbarkeit von Wohnraum und Mobilität). (mittlere Übereinstimmung, mittlere Literaturbasis)

  • Institutionelle Anleger im System sozialer Sicherung (insbesondere Pensionsfonds, Abfertigungssysteme) halten klimaschädigende Anlagen, die von Wertverlust bedroht sind. (hohe Übereinstimmung, schwache Literaturbasis)

  • Zur Klimafreundlichkeit des Designs der sozialen Sicherungssysteme besteht grundsätzlich empirischer Forschungsbedarf für Österreich.

Notwendige Veränderungen

  • Um Synergien zwischen Klima- und Sozialpolitik auszuschöpfen sowie Trade-offs zu vermeiden, sind wechselseitige Bezüge beider Politikfelder bei Planung, Implementierung und Evaluierung von Maßnahmenbündeln konsequent zu berücksichtigen. Dazu gehört, klimabezogene Kriterien in Wirkungs- und Effizienzanalysen gesundheits- und sozialpolitischer Programme zu integrieren. (hohe Übereinstimmung, schwache Literaturbasis)

  • Soll die Produktion bzw. Bereitstellung von sozialen Dienstleistungen, Gesundheitsdienstleistungen und Sachleistungen klimafreundlicher werden, erfordert dies Investitionen in die bauliche soziale Infrastruktur (z. B. Krankenhäuser), Investitionen in die Beschäftigten (z. B. digitale Kompetenz) und eine stärkere Berücksichtigung ökologischer Kriterien im Beschaffungswesen. (hohe Übereinstimmung, schwache Literaturbasis)

  • Sollen negative Effekte der institutionellen Veranlagungen von Vorsorgevermögen auf klima- und sozialpolitische Ziele vermieden werden, müssen diese systematisch erfasst, für den Verlustfall Vorsorge getroffen und Desinvestition veranlasst werden. (hohe Übereinstimmung, schwache Literaturbasis)

Strukturen und Akteure

  • Österreichische Sozialpolitik wird auf mehreren Regierungsebenen gestaltet (Multi-Level Governance) und von verschiedenen Akteuren (Multi-Actor Governance) getragen. Das schafft Experimentierfelder für ökosoziale Politik, erschwert aber auch deren flächendeckende und koordinierte Durchsetzung. (hohe Übereinstimmung, starke Literaturbasis)

  • Klimafreundliche Anpassungen auf der Angebots- und Nachfrageseite des Wirtschaftssystems erfordern Änderungen in der Governance der sozialen Sicherungssysteme in Richtung institutionalisierter und evidenzbasierter Kooperation. (hohe Übereinstimmung, schwache Literaturbasis)

  • Arbeitgeber_innen, darunter insbesondere große und öffentliche Gesundheits- und Sozialdienstleister, können über Mittel betrieblicher Sozialpolitik klimafreundliche Arbeitsplätze schaffen. (hohe Übereinstimmung, mittlere Literaturbasis)

  • Zur Rolle der Sozialpartner und der institutionellen Einbindung der Zivilgesellschaft in die Gestaltung und Umsetzung ökosozialer Politik besteht Forschungsbedarf.

Gestaltungsoptionen

  • Soll Gesundheits- und Sozialpolitik einen Beitrag zum Klimaschutz leisten, kann dies unter anderem durch verstärkte Prävention, grüne Beschaffungspolitik und die klimafreundliche Gestaltung der Arbeitsplätze im Gesundheits- und Sozialsektor erreicht werden. (hohe Übereinstimmung, mittlere Literaturbasis)

  • Soll grünes Investment von Vorsorgevermögen gestärkt werden, wäre das Potenzial von Divest-invest-Strategien bei institutionellen Anlegern im österreichischen System (insbesondere betriebliche Pensionsfonds, Mitarbeitervorsorgekassen) besser auszuschöpfen (hohe Übereinstimmung, schwache Literaturbasis)

  • Sollen wirksame ökosoziale Programme entwickelt werden, sind eine weitergehende Erfassung und ein Monitoring des CO2-Fußabdrucks sowie eine Evaluierungskultur im Gesundheits- und Sozialsektor wesentlich. (hohe Übereinstimmung, schwache Literaturbasis)

  • Soll Armutsgefährdung durch eine CO2-Bepreisung vermieden werden, sind mögliche Maßnahmen, Investitionen in soziale Infrastrukturen zu tätigen oder monetäre Kompensation sozial differenziert vorzunehmen. (mittlere Übereinstimmung, mittlere Literaturbasis)

  • Zur Ausgestaltung klimafreundlicher Arbeitspolitik und deren sozialpolitischer Flankierung besteht Forschungsbedarf (etwa zum Design eines ökologischen Grundeinkommens oder Garantieeinkommens, eines Maximaleinkommens oder der Wirkung der Solidaritätsprämie).

  • Soll ökosoziale Politik institutionell verankert werden, bieten sich dazu regelmäßige und geregelte Formen der Kooperation, eigene Institutionen und Implacement-Stiftungen an. (hohe Übereinstimmung, schwache Literaturbasis)

18.1 Einleitung

Der Schutz vor existenzbedrohenden Lebensrisiken (z. B. Krankheit oder Arbeitslosigkeit) und vor Armut sowie Fragen der Verteilungs- und Chancengerechtigkeit sind im Diskurs um gute gesellschaftliche Lebensbedingungen und Lebensqualität an oberster Stelle verankert. So finden sich diese Anliegen in österreichischen Regierungsprogrammen ebenso wie in den Zielen nachhaltiger Entwicklung der Vereinten Nationen (https://sdgs.un.org).

Das vorliegende Kapitel diskutiert sozialen Schutz und Ausgleich als strukturelle Bedingungen der Transformation zu einer klimafreundlichen Gesellschaft und verfolgt dabei zwei Zielsetzungen: (1) Es gilt darzulegen, wie Klimawandel und Klimapolitik einerseits und sozialstaatlichen Strukturen und Aktivitäten andererseits wechselseitig aufeinander einwirken. (2) Darauf aufbauend soll aufgezeigt werden, wie sozialstaatliche und klimapolitische Ziele konfliktfrei und möglichst synergetisch verfolgt werden können.

Die Begriffe „Sozial- bzw. Wohlfahrtsstaat“ und „soziale Sicherung(ssysteme)“ werden in der Literatur unterschiedlich definiert und verwendet. Der Begriff „Wohlfahrtsstaat“ (englisch „welfare state“) ist in der wissenschaftlichen Literatur, besonders in der ländervergleichenden Forschung, verbreitet. Der Begriff „Sozialstaat“ ist gleichbedeutend und im deutschen Sprachraum gebräuchlicher; daher wird er nachfolgend verwendet. Beide Bezeichnungen deuten eine starke Rolle des Staates in der sozialen Daseinsvorsorge und im sozialen Ausgleich an. Insgesamt tragen neben staatlichen auch nichtstaatliche Akteur_innen zu sozialem Schutz und sozialem Ausgleich bei. Soziale Sicherungssysteme dienen – einem breiten Verständnis folgend – sowohl der sozialen Absicherung als auch dem sozialen Ausgleich in einer Gesellschaft. Soziale Sicherungssysteme adressieren somit den größten Teil der Bevölkerung (etwa über die Pflichtversicherung für Erwerbstätige) und gehen über Hilfen für arme Haushalte deutlich hinaus (Garland, 2016). Demgegenüber sind mit sozialen Sicherungssystemen in einem engeren Begriffsverständnis vor allem Sozialversicherungslösungen gemeint, die die finanzielle Vorsorge für den Fall von Krankheit, Invalidität oder Arbeitslosigkeit und für das Alter leisten.

In diesem Kapitel wird der Begriff der sozialen Sicherungssysteme umfassend verstanden, da Klimawandel und Klimapolitik sowohl mit sozialen Risiken als auch mit sozialer Ungleichheit einhergehen. So treten extreme Naturereignisse häufiger auf und führen zu Gesundheitsgefahren und finanziellen Folgekosten, die selbst sozioökonomisch gut gestellte Individuen und Gruppen überfordern (Papathoma-Köhle & Fuchs, 2020, S. 691). Verknappen und verteuern sich klimabedingt Grundnahrungsmittel oder Wohnkosten, trifft das Haushalte mit geringen Einkommen – darunter häufig Haushalte von Alleinerziehenden oder von arbeitslosen Menschen – relativ härter, so dass die Gefahr sozialer Exklusion steigt (BMSGPK, 2021). Dies trifft auch auf andere negative Effekte des Klimawandels zu, so dass sozial benachteiligte Gruppen insgesamt stärker von den Folgen des Klimawandels betroffen sind.

In der in diesem Kapitel geführten Diskussion um die Wechselwirkungen von sozialstaatlicher Politik und Klimaschutz bezieht sich der Begriff „soziale Sicherungssysteme“ auf (1) deren grundlegende Funktionen (Prävention, Versicherung, Verteilung und Ausgleich), (2) multiple Handlungsfelder (Gesundheit, Alter, Invalidität, Alter, Familie, Wohnen, Beschäftigung, Inklusion) und (3) Akteure (staatliche Einrichtungen, Sozialversicherungen, Organisationen, Unternehmen, Familien). Die Schnittstellen dieser Elemente sozialer Sicherungssysteme zu Klimawandel und Klimapolitik bilden Aktionsräume für ökosoziale Politik, die Strukturen für sozial nachhaltiges und klimafreundliches Leben gestaltet.

Die Nachhaltigkeit von sozialen Sicherungssystemen („sustainable welfare“) wird in der sozialpolitischen Forschung und im gesellschaftlichen Diskurs bisher überwiegend unter ökonomischen Gesichtspunkten (nachhaltige Finanzierung bzw. begrenztes Wachstum des Sozialaufwands, produktivitätsfördernde, wettbewerbsorientierte Sozialpolitik, „social investment“) betrachtet. Ökologische Gesichtspunkte finden erst in jüngerer Zeit wachsende Beachtung (siehe z. B. Bailey, 2015; Corlet Walker et al., 2021; Gough, 2017; Hirvilammi & Koch, 2020; Koch & Mont, 2017; Laurent, 2021). Aktuelle Befunde belegen wechselseitige Bezüge zwischen dem sozialen Sicherungssystem einerseits und Klimawandel und Klimapolitik andererseits. So sind die ökosoziale Leistungsfähigkeit von Staaten im Sinn synergetischer sozial- und klimapolitischer Ziele und Aktivitäten (Zimmermann & Graziano, 2020) sowie die Akzeptanz von Klimapolitik vom Design des Wohlfahrtsstaates mitbestimmt (Bohnenberger, 2020; Fritz & Koch, 2019; Koch & Fritz, 2014; Otto & Gugushvili, 2020). Klimapolitisch motivierte Vorschläge betreffen umgekehrt unmittelbar das österreichische soziale Sicherungssystem, teils positiv (z. B. Gesundheitsdividende emissionsreduzierender Maßnahmen), teils negativ (z. B. erhöhte Armutsrisiken aufgrund höherer Energiekosten durch CO2-Bepreisung).

Vor diesem Hintergrund geht dieses Kapitel den leistungs-, produktions- und finanzierungseitigen Wechselbezügen von Klima- und Sozialpolitik nach [Abschn. 18.2], zeigt darauf bezogene notwendige strukturelle Änderungen sowie Akteure, Institutionen und Aspekte der Governance auf [Abschn. 18.3]. Abschließend werden Gestaltungsoptionen dargelegt, die darauf hinwirken, dass soziale Sicherung und sozialer Ausgleich zu einem klimafreundlichen Leben in Österreich beitragen können [Abschn. 18.4].

18.2 Status quo: Klimawandel, Klimapolitik und Sozialstaat

18.2.1 Klimawandel, Klimapolitik und die Leistungen des Sozialstaats

Um sichere Lebensbedingungen zu gewährleisten und sozialen Ausgleich zu erreichen, sind im österreichischen Sozialstaat zum einen sozialrechtliche Institutionen etabliert, die den gleichberechtigten Zugang zu Grundgütern und Lebenschancen gewährleisten sollen. Zum anderen wird ein breites Spektrum von Geldleistungen (Pensionszahlungen, Familienbeihilfe, Sozialhilfe etc.) und Sachleistungen (unter anderem soziale Dienstleistungen zur Beratung oder Betreuung bestimmter Gruppen, Gesundheitsleistungen) bereitgestellt. Viele dieser Leistungen zielen auf (potenziell) benachteiligte oder schutzbedürftige Gruppen (armutsgefährdete Menschen, Minderheiten, Kinder, Menschen mit physischen, psychischen oder kognitiven Einschränkungen). Doch Leistungen des Sozialstaates verbessern auch die Lebensbedingungen von Menschen, die weder schutzbedürftig noch benachteiligt sind, indem für Lebensrisiken (Alter, Krankheit und Pflegebedürftigkeit, Arbeitslosigkeit) vorgesorgt und persönliche Entwicklung (z. B. durch Bildungsdienstleistungen) ermöglicht wird (Althammer et al., 2021).

Der Klimawandel und klimapolitische Maßnahmen sind in dreifacher Hinsicht mit sozialer Absicherung und sozialem Ausgleich verbunden: (1) Der Klimawandel selbst erhöht unmittelbar gesundheitliche und soziale Risiken sowie gesundheitliche und soziale Ungleichheit. (2) Klimapolitische Maßnahmen können negative oder positive Neben- und Folgewirkungen auf die Erreichung sozialpolitischer Ziele haben. (3) Das Sozialsystem kann umgekehrt klimapolitische Maßnahmen flankieren oder ausbremsen. Diese drei Zusammenhänge werden nachfolgend näher betrachtet.

Es existieren bereits Maßnahmen, die sowohl der Erreichung klimapolitischer als auch sozialpolitischer Ziele dienen können. Die Diskussion darüber, wie eine solche Komplementarität gezielt genutzt werden kann (integrierte sozial-ökologische Politik), wird im Kontext der Gestaltungsoptionen [Abschn. 18.4] geführt.

Gesundheitliche und soziale Probleme als unmittelbare Folgen des Klimawandels

Neue gesundheitliche und soziale Risiken für die österreichische Bevölkerung, die der Klimawandel schafft, sind wissenschaftlich gut belegt und im Special Report „Gesundheit, Demographie und Klimawandel“ des Austrian Panel on Climate Change ausführlich dargelegt (Austrian Panel on Climate Change (APCC), 2018). Die Häufung von Hitzetagen (mit Temperaturen über 30 Grad Celsius) erhöht unter anderem das Risiko von Schlaganfällen. Weiters verbessern sich die Bedingungen für Krankheitsüberträger, so dass das Risiko einer Infektionserkrankung zunimmt. Mit den steigenden Pollen-/Allergenbelastungen verstärken sich Allergiebeschwerden und das Risiko von Asthma; höhere Ozonbelastungen sind mit entzündlichen Atemwegserkrankungen assoziiert. Veränderte Wetterverhältnisse belasten wetterfühlige Menschen. Überschwemmungen und Murenabgänge nach starken Niederschlägen gefährden nicht nur Hab und Gut, sondern auch Leib und Leben. Zusätzlich können die Folgen des Klimawandels in anderen Weltregionen mit einer steigenden Zahl an Klimaflüchtenden einhergehen (Beine & Jeusette, 2021; Hoffmann et al., 2020; L. Mbaye, 2017; L. M. Mbaye & Zimmermann, 2016; Yar et al., 2020), die zu kleinen Teilen auch in Europa Asyl suchen (Schutte et al., 2021). Diese Immigration stellt die Gesundheits- und Sozialpolitik vor weitere Aufgaben. All dies führt zur verstärkten Nutzung von bestehenden Gesundheits- und Pflegeangeboten, erhöht den Bedarf an sozialer Absicherung finanzieller Schäden und verschärft bestehende sozioökonomische Benachteiligungen.

Sozial benachteiligte Gruppen sind von den negativen Folgen des Klimawandels oft unmittelbarer und härter betroffen (etwa aufgrund der Lage und Qualität ihrer Wohnungen), tragen aber an ihrem CO2-Fußabdruck gemessen viel weniger zum Klimawandel bei (BMSGPK, 2021, S. 5). Armutsrisiken für Haushalte mit niedrigen Einkommen nehmen aufgrund von klimabedingt steigenden Lebenshaltungskosten (z. B. durch erhöhte Kosten der Herstellung von Nahrungsmitteln oder Mietsteigerungen aufgrund erforderlicher thermischer Sanierungen) zu. Extreme Wetterlagen (insbesondere Hitzewellen) oder die stärkere Verbreitung von Allergenen treffen Gruppen, die besonders schutzbedürftig oder vorbelastest sind (z. B. Kleinkinder und alte Menschen, Menschen mit Vorerkrankungen) (Haas, 2021). Extremwettereignisse gehen mit ereignisspezifischen finanziellen Privatschäden einher, die oft nicht abgesichert sind und nur teilweise aus dem staatlichen Katastrophenfonds ersetzt werden (Papathoma-Köhle & Fuchs, 2020, S. 690). Bei erheblichen Wertverlusten können klimabedingte Extremereignisse zu finanziellen Notlagen bis hin zur Privatinsolvenz führen, wenn die Geschädigten über keine oder unzureichende finanzielle Reserven verfügen. Extreme Naturereignisse, die mobilitätsbeschränkend wirken (vermurte Straßen, gestörte Bahnverbindungen) und Absenzen am Arbeitsplatz zur Folge haben, berühren auch arbeitsrechtliche Aspekte wie z. B. Entgeltfortzahlung. Diese Beispiele zeigen, dass der Klimawandel zum einen ein kontinuierlich wirkender, gesundheitlicher und finanzieller Stressor ist. Zum anderen gehen soziale und gesundheitliche Risiken von Extremereignissen aus, die räumlich und zeitlich begrenzt auftreten. In beiden Fällen ist das Schadenspotenzial (die Vulnerabilität/Verwundbarkeit) für solche Bevölkerungsgruppen größer, die diesen Klimaeinwirkungen stärker ausgesetzt und in ihren Reaktionsmöglichkeiten beschränkt sind. Diese Gruppen können umgekehrt besonders von der Bekämpfung des Klimawandels profitieren.

Die wissenschaftliche Literatur unterscheidet physische, soziale und wirtschaftliche sowie institutionelle Vulnerabilität (Fuchs & Thaler, 2018; Papathoma-Köhle & Fuchs, 2020). Ingenieurs- und Naturwissenschaften fokussieren auf die physische Schadensanfälligkeit von Bauten und Strukturen (etwa bei Sturm, Hagel oder Überflutung). In den Sozialwissenschaften bezeichnet Vulnerabilität die vorgegebene Tendenz (Prädisposition) bzw. das Potenzial, geschädigt zu werden. Wie anfällig Individuen oder Haushalte für Schädigungen durch Klimawandel und daran anknüpfende Wert- oder Einkommensverluste sind, ist nicht nur durch Gefahren, sondern auch durch Verhaltensweisen und den sozialen Kontext bestimmt (Renn, 2018 zitiert nach Papathoma-Köhle & Fuchs 2020, S. 681). Die soziale und wirtschaftliche Vulnerabilität von erwerbsaktiven Personen hängt beispielsweise davon ab, wie häufig und wie intensiv sie am konkreten Arbeitsplatz und im Rahmen der spezifischen Tätigkeit klimainduzierten Belastungen ausgesetzt sind (z. B. bei Arbeit im Freien oder mobiler Arbeit). Insbesondere bei abhängiger Beschäftigung sind Exposition und die Belastung nur bedingt individuell zu beeinflussen. In anderen Kontexten kann der Einzelne eher selbst darüber entscheiden, sich den Risiken, die mit dem Klimawandel zunehmen, auszusetzen oder diesen auszuweichen (z. B. an Hitzetagen körperlich anstrengenden Freizeitaktivitäten nachgehen). Individuelle Entscheidungen zum Umgang mit Gefährdungen fallen aufgrund individueller Risikowahrnehmungen, aus Gewohnheit oder im Gefüge sozialer Gruppen. Institutionelle Vulnerabilität, als letztes Konzept, weist über individuelles Verhalten, Ressourcen oder Risikobereitschaft hinaus. Danach ist die Qualität von politischen Maßnahmen (Regulierung, Maßnahmenprogramme) inklusive deren Finanzierung, Trägerstrukturen und Implementierungsprozesse mitentscheidend für die gesellschaftliche Schadensanfälligkeit gegenüber dem Klimawandel (Papathoma-Köhle et al., 2021, S. 684; Papathoma-Köhle & Fuchs, 2020). Über diese Institutionen wird gesteuert, welche Ressourcen für welche Verwendungen und Personen(gruppen) verfügbar sind. Das prägt überindividuell die Möglichkeiten, Schäden in Folge des Klimawandels zu vermeiden oder abzuwehren [siehe dazu unten Abschn. 18.3 und 18.4].

Die sozialen Folgen des Klimawandels in Österreich auf besonders gefährdete Gruppen nimmt eine Auftragsstudie des Bundesministeriums für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz näher in den Blick (BMSGPK, 2021). Vulnerable Gruppen sind dort jeweils in Verbindung mit sechs spezifizierten Klimaeinwirkungen annähernd identifiziert und dimensioniert. Darüber hinaus wurden insgesamt 13 Faktoren, die potenziell risikobegründend sind, auf Basis der Daten des EU-SILC 2019 (EU Survey of Income and Living Conditions) und der Österreichischen Gesundheitsbefragung 2019 (ATHIS) analysiert. Zu diesen Faktoren gehören unter anderem die Zugehörigkeit zu den 20 Prozent der einkommensschwächsten Haushalte, Betroffenheit von (multidimensionaler) Armut und sozialer Ausgrenzung, Vorerkrankungen, Alleinerzieher_innen- oder Migrationsstatus. Für weiterführende Wirkungseinschätzungen wurden in der Studie die genannten Faktoren zu sieben „Vulnerabilitätsmerkmalen“ verdichtet, für die sich Benachteiligungsprozesse plausibel erschließen und die empirisch gut belegt sind: Einkommensschwäche, Altersrandgruppe (weniger als 5 oder über 65 Jahre alt), gesundheitliche Einschränkungen bei Alltagstätigkeiten, Migrationshintergrund, weiblich, niedriger Bildungsstand. Diese Vulnerabilitätsmerkmale überschneiden sich teilweise („Intersektionalität“) und sind nicht mit Personengruppen gleichzusetzen, die auf Grundlage nur eines Merkmals abgegrenzt werden. Nachfolgend werden Belastungen des Klimawandels kurz und exemplarisch für Hitzewellen und für alte Menschen in Österreich dargelegt (zu Hitzegefährdungen für Menschen mit Migrationshintergrund siehe z. B. Arnberger et al. (2021); auch wohnungslose Menschen leiden aus mehreren Gründen besonders unter extremen Wetterlagen).

Die Risiken des Klimawandels für alte Menschen sowie für Versorgungsinfrastrukturen, die auf diese Bevölkerungsgruppe fokussieren, sind mit Blick auf die gesellschaftliche Alterung von besonderem Interesse. In Österreich wird ein Anstieg des Anteils der Bevölkerungsgruppe 65+ von 19 Prozent im Jahr 2019 auf 29 Prozent im Jahr 2070 prognostiziert; alleine der Anteil der Menschen über 80 Jahren könnte von 5 auf 12 Prozent zunehmen (European Commission. Directorate General for Economic and Financial Affairs, 2021). In der Bevölkerung im Alter 65+ ist ein größerer Anteil von Personen vulnerabel gegenüber Hitzewellen, die durch den Klimawandel häufiger auftreten und länger andauern (Courtney-Wolfman, 2015; Wanka et al., 2014). Risikobegründende Faktoren bei Hitzewellen in der Bevölkerung 65+ sind ein niedriger sozioökonomischer Status, soziale Isolation und gesundheitliche bzw. funktionelle Einschränkungen (Wanka et al., 2014). Auch erhöhen spezifische Verhaltens- und Risikodispositionen sowie Informationslücken die Vulnerabilität alter Menschen bei extremer Hitze (Courtney-Wolfman, 2015). Demnach tendieren alte Menschen stärker dazu, in ihren (dann überhitzten) Wohnungen zu bleiben, nutzen andere Informationswege als andere Bevölkerungsgruppen, unterschätzen zum Teil ihre eigene Gebrechlichkeit und damit verbundene Gefährdung, können aufgrund ihrer psychischen oder mentalen Verfassung weniger entschlusskräftig handeln oder Fehleinschätzungen treffen.

Hitzetage sind unter anderem mit einer höheren Zahl an Schlaganfällen assoziiert. Dabei tragen Menschen über 65 Jahren ein erhöhtes Risiko. Schlaganfälle gehen häufig mit Lähmungen, Sprach-, Sprech- oder Sehstörungen einher (Sherratt, 2021). Bei der pflegerischen Versorgung alter Menschen steigt in Hitzeperioden die Belastung des Pflegepersonals (Schoierer et al., 2020), die Wirksamkeit von Medikamenten kann sich verändern oder nachlassen und deren Lagerung sich erschweren (Aigner & Lichtenberger, 2021). Dies illustriert, dass der Klimawandel nicht allein zu verstärkter Nutzung und damit zu höheren Aufwendungen im Gesundheits- und Pflegebereich führt, sondern auch die Versorgungsqualität beeinträchtigen kann. Dies rückt die Klimakompetenz der Angehörigen von Gesundheitsberufen in den Fokus und wie diese Kompetenz durch Aus-, Fort- und Weiterbildung in Österreich gestärkt werden kann (Brugger & Horváth, 2023). Dies wird auch für Deutschland beforscht, etwa bezogen auf mobile und stationäre Betreuungsangebote für ältere Menschen (Blättner et al., 2013, 2020, 2021; Grewe & Pfaffenberger, 2011).

Auf der Ebene der Städte und Gemeinden, die entsprechende soziale Versorgungsstrukturen bereithalten, sind aufgrund des Klimawandels Anpassungen der Sozialplanung und kommunalen Sozialpolitik notwendig, die sich in Folge personell und finanziell auswirken. Ein konzeptionelles Modell der Verbindungen zwischen Klimawandel und standortspezifischen Herausforderungen der Versorgung alter, gebrechlicher Menschen wurde von Oven et al. (2012) entwickelt und auf England bezogen. Für Österreich wurde eine konzeptionelle und empirische Analyse der Gefährdung alter Menschen in Wien durch Hitzewellen und darauf bezogene mögliche Handlungsstrategien durchgeführt (Courtney-Wolfman, 2015). Weiters liegt für 2020–2022 eine Analyse der Krankenhausaufenthalte im direkten Zusammenhang mit Hitze und Sonnenlicht vor (Brugger et al., 2022). Darüber hinaus liegt eine systematische Literaturstudie („scoping review“) zu Maßnahmen der öffentlichen Gesundheitsförderung mit Fokus auf Hitzepläne vor (Mayrhuber et al., 2018). Die darin erfassten 23 Studien, die teils ländervergleichend sind, beziehen sich am häufigsten auf Interventionen in den Ländern USA (19) und Canada (9) sowie auf Westeuropa. Der Schwerpunkt des Reviews lag auf Befunden zu Zielgruppen, Effektivität und Effizienz der getroffenen Maßnahmen.

Die Ergebnisse der Literaturstudie von Mayrhuber et al. (2018) zeigen, dass die untersuchten Interventionen, die Hitzegefährdung identifizieren oder reduzieren möchten, von verschiedenen staatlichen Ebenen ausgingen. Sie waren auf eine Reihe von Zielgruppen konzipiert, legten aber meist ein besonderes Augenmerk auf alte Menschen und weitere vulnerable Gruppen (etwa Haushalte mit niedrigem sozioökonomischem Status, wohnungslose Menschen). Die im Review erfassten Studien sind hinsichtlich der zielgruppenspezifischen Anpassungen wenig informativ und bieten oft keine belastbaren Befunde dazu, ob Interventionen wirksam oder effizient waren (Mayrhuber et al., 2018, S. 51). Viele Interventionen zielen auf Verhaltensanpassungen bei vulnerablen Gruppen ab, indem diese besser über die Hitzegefährdung informiert werden. Diese Programmlogik ist sehr eng gesetzt und (auch in anderen sozialpolitischen Interventionsfeldern) kontrovers diskutiert.

Die systematische Datenbankrecherche der exemplarisch zitierten Literaturstudie zur Bekämpfung von Hitzegefährdung (Mayrhuber et al., 2018) identifizierte für den Veröffentlichungszeitraum 1995 bis 2017 keine österreichischen Interventionen. Das kann blinden Flecken in der Sozialplanung und/oder der österreichischen Evaluationsforschung geschuldet sein. Ein anderer möglicher Grund ist darin zu sehen, dass nicht alle Studien öffentlich zugänglich sind und/oder wissenschaftlichen Qualitätsstandards genügen. In beiden Fällen werden sie in der Folge nicht in die einschlägigen wissenschaftlichen Datenbanken aufgenommen. In diesen Datenbanken finden sich mithin besonders viele Studien aus Ländern, die eine ausgeprägte wissenschaftliche Evaluationskultur auszeichnet (Mayrhuber et al., 2018, S. 52). Insgesamt besteht in diesem Feld demnach einerseits deutlicher wissenschaftlicher Forschungsbedarf, andererseits mangelt es an einer Übersicht vorhandener Interventionen bzw. Aktionspläne für Österreich. Beides betrifft nicht nur Hitzegefährdungen, die mit dem Klimawandel einhergehen, sondern auch Maßnahmen zur Vermeidung, Reduzierung oder Abdeckung von physischen, sozialen und wirtschaftlichen Risiken anderer extremer Naturereignisse [siehe auch Abschn. 18.3.2 und 18.4].

Insgesamt bleibt festzuhalten, dass negative soziale und gesundheitliche Folgen des Klimawandels für Österreich wissenschaftlich nachgewiesen und teilweise in monetäre Größen übersetzt sind, um sozialpolitische Kosten klimapolitischer Inaktivität zu beziffern (BMSGPK, 2021). Die damit einhergehenden Belastungen der Sozial- und Gesundheitssysteme bedeuten, dass die Bekämpfung des Klimawandels, insbesondere der klimaschädigenden Emissionen, diesen Systemen potenziell zugutekommen (Farrow et al., 2020; Myllyvirta, 2020; Steininger et al., 2020; Vohra et al., 2021). Doch können klimapolitische Maßnahmen – unbeabsichtigt und abhängig vom gewählten Instrument und seiner Ausgestaltung – auch zusätzlichen sozialpolitischen Handlungsbedarf begründen (BMSGPK, 2021; Lamb et al., 2020). Dies wird nachfolgend kurz beleuchtet.

Effekte der Klimapolitik auf soziale Risiken und Problemlagen

Zu den Effekten von Klimapolitik auf soziapolitische Ziele liegt eine internationale systematische Literaturübersicht vor (Lamb et al., 2020), die Ex-post-Evaluierungen klimapolitischer Interventionen bis einschließlich 2018 erfasst. Die Autor_innen konzentrieren sich auf energiepolitische Maßnahmen (bezogen auf den Verbrauch fossiler Brennstoffe, Energienachfrage oder erneuerbare Energien), die explizit oder implizit klimaschützend sind. Sie analysieren sechs sozialpolitisch relevante Effekte (unter anderem Effekte auf Armut und Ungleichheit, Beschäftigung und soziale Kohäsion). Im Zuge der Recherche identifizierten Lamb et al. (2020) keine Ex-post-Evaluierungen zu österreichischen Interventionen. Potenzielle verteilungspolitische Nebenwirkungen von Strategien zur Dekarbonisierung sind auch Gegenstand des systematischen Reviews von Peñasco et al. (2021). Zu diesem Review haben die Autorinnen ein allgemein zugängliches, elektronisches „Decarbonisation Policy Evaluation Tool“ (http://dpet.innopaths.eu/#/) angelegt. Dort können die Ergebnisse von 270 Evaluierungen in übersichtlicher Form (und unter anderem getrennt nach den Instrumentengruppen Regulierung, Incentivierung, Investitionen und marktanaloge Steuerung) abgerufen werden. Es zeigt sich, dass ein großer Teil der Evaluierungen von Politiken zur Dekarbonisierung negative verteilungspolitische Nebenwirkungen ausweist, wobei Unterschiede je nach Typus des eingesetzten Instruments bestehen. Die Autorinnen diskutieren keine speziell auf Österreich bezogene Studie (Österreich ist aber in 17 der Studien berücksichtigt). Daher werden die Befunde beider Reviews im Folgenden nicht vertieft. Statt dessen werden vorrangig Untersuchungen zu sozialen Nebenwirkungen von Klimapolitik, die auf Österreich fokussiert sind, betrachtet.

Fast 300 klimapolitische Maßnahmen von Bund und Ländern sind in einer Auftragsstudie für das Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz (BMSGPK) erfasst und kategorisiert. Daraus werden 17 ausgewählte Strategien zum Schutz vor und Anpassung an den Klimawandel zunächst vergleichend gegenübergestellt. Elf Maßnahmen, die bereits umgesetzt sind oder vor der Umsetzung standen, sind in „Maßnahmensteckbriefen“ beschrieben und werden mit Bezug auf potenzielle soziale Folgewirkungen bewertet. Die Zahl der so analysierten Maßnahmen ist klein, deckt aber die wesentlichen klimapolitischen Handlungsfelder (Wohnen, Raumplanung, Energie, Konsum, Mobilität) und verschiedene Formen der Intervention (Regulierung, Förderungen, Steuern, Infrastrukturen, Bewusstseinsbildung) ab. Diskutiert werden unter anderem CO2-Steuern auf Heiz- und Treibstoffe, die Ökostrompauschale oder die Förderung thermisch-energetischer Gebäudesanierungen. Die Autor_innen der Studie unterscheiden sieben sozialpolitisch relevante Prüfsteine: ob eigenes Kapital eingesetzt werden muss, ob Kosten-, Immissions- oder Hitzebelastungen der Haushalte sich erhöhen oder reduzieren, Wirkungen auf die soziale Inklusion, potenzielle Verdrängungseffekte und Effekte auf den Zugang zu Mobilität (BMSGPK, 2021).

Zwei klimapolitische Maßnahmen und ihre Verbindung zu sozialpolitischen Zielgrößen werden hier zur Illustration skizziert: (1) Energieberatungen und (2) die CO2-Steuer auf Heiz- und Treibstoffe. Im Fall der Energieberatung zeigt sich eine weitgehende Synergie von klimapolitischen und sozialpolitischen Zielsetzungen. Die bislang untersuchten Modelle in den drei Bundesländern Wien, Vorarlberg und Steiermark belegen, dass Energieberatungen den Energieverbrauch und die Energiekosten von Haushalten reduzieren können. Dieser Effekt ist für einkommensschwache Haushalte relativ zum Einkommen größer. In Folge einer solchen Beratung konnten pro Haushalt Einsparungen von ca. 120 bis 200 Euro erzielt werden. Auch verringerte Immissionsbelastungen waren für vulnerable Gruppen festzustellen. Es zeigt sich aber, dass es eine Frage der konkreten Umsetzung ist, wie gut Energieberatungen potenziell benachteiligte Gruppen erreichen und wie nachhaltig diese aus klimapolitischer Sicht wirken. So macht es einen Unterschied für die soziale Inklusion vulnerabler Gruppen, ob für die Beratung Kosten anfallen (und in welcher Höhe), ob die Beratung aufsuchend ist oder selbst initiiert werden muss (relevant für mobilitätsbeschränkte oder bildungsferne Menschen) und welche Personen die Beratung übernehmen (relevant für z. B. für Migrant_innen). Klimapolitisch ist die Wirkung der Energieberatungen begrenzt, da sie kurzfristig nichts an der Energieeffizienz der Gebäude verändert (BMSGPK, 2021, S. 80).

Eine CO2-Steuer auf Heiz- und Treibstoffe ist demgegenüber durch ein anderes Profil sozialer Wirkungen gekennzeichnet (BMSGPK, 2021, S. 87 ff.). Sie erhöht, wenn sie nicht kompensiert wird, die Kosten für Endverbraucher_innen. Relativ zu ihrem Einkommen sind einkommensschwächere Haushalte vom Anstieg der Kosten stärker betroffen (primär aufgrund steigender Heizkosten). Da es für diese Haushalte schwieriger ist, über Investitionen in emissionsärmere Heizungen oder Fahrzeuge auszuweichen, tragen sie die zusätzlichen Kosten zudem länger. Um sozialpolitisch kontraproduktive Effekte zu vermeiden, sind pauschale oder einkommensorientierte Rückvergütungen möglich, wie auch andere flankierende Maßnahmen (etwa Ausbau des öffentlichen Personenverkehrs und vergünstige Nutzung dieser Verkehrsmittel für einkommensschwächere Gruppen). Ob ein regressiver oder am Ende ein progressiver Effekt der Maßnahme eintritt und wie sich die Armutsgefährdung verändert, ist daher erneut eine Frage der konkreten Ausgestaltung. Zwei jüngere empirische Analysen für den österreichischen Kontext (Lechinger & Six, 2021; Mayer, Dugan, Bachner, & Steiniger, 2021) gelangen diesbezüglich zu teils ähnlichen und teils abweichenden Ergebnissen, was mit der Eingrenzung der untersuchten Bevölkerungsgruppe und weiteren methodischen Unterschieden zusammenhängt.

So ermitteln Mayer et al. (2021) auf der Grundlage eines allgemeinen Gleichgewichtsmodells einen progressiven Effekt der CO2-Bepreisung. Das zugrundeliegende Modell berücksichtigt, dass die CO2-Bepreisung nicht nur den Konsum, sondern auch die Faktoreinkommen der Haushalte betreffen. Darüber hinaus ist explizit aufgenommen, dass der Staat zusätzliche Güter und Dienstleistungen bereitstellen kann, die den verschiedenen Typen privater Haushalte in unterschiedlichem Ausmaß zugutekommen. Dies erklärt, warum nach ihren Ergebnissen eine CO2-Bepreisung ohne Kompensation die Wohlfahrt stärker erhöht als eine CO2-Bepreisung mit pauschaler Kompensation. Lechinger und Six (2021) fokussieren demgegenüber in einer Mikrosimulation die Effekte einer CO2-Bepreisung auf die Armutsgefährdungsquote. Je nach Szenario (mit/ohne Kompensation; pauschale versus einkommensabhängige Kompensation) sowie abhängig von der betrachteten Haushaltskonfiguration weisen ihre Modellrechnungen armutsvermindernde oder armutserhöhende Wirkungen aus (BMSGPK, 2021; Lechinger & Six, 2021).

Die vorliegende Evidenz legt für Österreich insgesamt sehr robust dar, dass grundsätzlich eine CO2-Steuer positiv sowohl auf sozial- als auch auf klimapolitische Ziele wirken kann (für die Schweiz wird dies durch die Befunde von Diekmann & Bruderer Enzler (2019) gestützt). Ob und welche Kompensationsmaßnahmen (Rückvergütungen in Form von pauschalen oder einkommensorientierten Geldleistungen, Ermäßigung anderer Steuern, verminderte Sozialabgaben) erforderlich sind, wird kontroverser diskutiert. Konsens besteht darüber, dass sowohl aus klima- als auch aus sozialpolitischer Sicht zusätzliche flankierende Maßnahmen (strukturverbessernde Investitionen zur thermischen Sanierung von Gebäudesanierung, Investitionen in den öffentlichen Verkehr, Zuschüsse und Ermäßigungen für einkommensschwache Haushalte) die Zielerreichung in beiden Feldern verbessern (z. B. BMSGPK, 2021; Lechinger & Six, 2021; Seebauer et al., 2019). Sozial-ökologische Gestaltungsoptionen einer CO2-Bepreisung sind in Abschnitt [Abschn. 18.4] diskutiert.

In Summe kann eine wirksame Klimapolitik mittel- und langfristig das soziale Sicherungssystem von gesundheitlichen und sozialen Kosten, die mit dem Klimawandel verbunden sind (siehe oben), entlasten. Doch sind punktuell negative Nebenwirkungen einzelner klimapolitischer Maßnahmen möglich. Abhängig von der konkreten Maßnahmengestaltung werden dann sozialpolitische Probleme, insbesondere Armut und Ungleichheit, verstärkt. Es liegen für Österreich weitere Einzelstudien zu den sozialen Folgen weiterer klimapolitischer Maßnahmen vor, wie etwa jene von Berger und Höltl (2019) zu thermischen Gebäudesanierungen und Energiearmut. Sie sind zum Teil in der Auftragsstudie des BMSGKP (2021) zitiert und können hier aus Platzgründen nicht behandelt werden. Wesentlich ist, dass Armut, Ungleichheit und andere soziale Benachteiligungen ihrerseits auf die Effektivität von Klimapolitik zurückwirken. So schwächt sich die Effektivität klimapolitischer Interventionen ab, wenn der Zugang zu Maßnahmen, Handlungsmöglichkeiten bestimmter Gruppen und die Bereitschaft, klimafreundlich zu handeln, aufgrund von Armut und sozialer Ungleichheit eingeschränkt sind (siehe die obige Illustration zur Maßnahme Energieberatung). Dies lenkt den Blick auf Wirkungen, die von Sozialpolitik auf Klimapolitik ausgehen.

Effekte sozialpolitischer Vorsorge- und Ausgleichsleistungen auf die Klimapolitik

Das Sozialsystem kann im Sinn des oben eingeführten Konzepts der institutionellen Vulnerabilität (Papathoma-Köhle et al., 2021) als ein institutioneller Baustein verstanden werden, der die gesellschaftliche Schadensanfälligkeit gegenüber Klimawandel beeinflusst. Es prägt wesentliche Rahmenbedingungen für die erforderlichen Anpassungen auf der gesellschaftlichen und der individuellen Ebene, positiv wie auch negativ: Auf der einen Seite vermindern effektive Politiken des sozialen Ausgleichs grundsätzlich die bestehende ungleiche Gefährdung durch schädliche Klimaeinträge und die ungleichen Möglichkeiten, auf sie (vorausschauend oder schadensbegrenzend) zu reagieren (Bailey, 2015, S. 805). Individuelles klimafreundliches Handeln wird zudem durch regulative Rahmenbedingungen für Eigenvorsorge und Information sowie dadurch ermöglicht, dass konkrete Geld-, Sach- und soziale Dienstleistungen bereitgestellt werden. Auf der anderen Seite ist das österreichische Sozialsystem sehr erwerbszentriert, indem etwa die Beiträge zur Sozialversicherung an die Erwerbseinkommen anknüpfen. Im Sozialsystem sind Anreize dafür gesetzt, umfassend bezahlter Arbeit nachzugehen. Ein hoher Beschäftigungsumfang, lange Erwerbsphasen und gut dotierte Jobs implizieren eine gute soziale Absicherung, während unbezahlte Arbeit nach wie vor mit sozialen Risiken verbunden ist [siehe Kap. 7 Erwerbsarbeit, Kap. 8 Sorgearbeit]. Ein „kommodifiziertes“ soziales Sicherungssystem, das bezahlte (Vollzeit-)Erwerbsarbeit voraussetzt, trägt implizit zu Ungleichheit bei und erschwert klimafreundlichere Lebensstile (siehe dazu u. a. Bohnenberger, 2022). Das System der sozialen Sicherung ist daher eine wesentliche strukturelle Schaltstelle für effektive klimapolitische Maßnahmen.

Mit Bezug auf soziale Sicherungssysteme beleuchtet die Forschung (1) ob (und in welcher Weise) die Zustimmung zu Klimapolitik von konstituierenden Merkmalen des Sozialsystems mitbestimmt ist und (2) ob diese Zustimmung sich entlang sozialer und ökonomischer Ungleichheiten bewegt (Bohnenberger, 2020; Fritz & Koch, 2019; Koch & Fritz, 2014; Otto & Gugushvili, 2020; Zimmermann & Graziano, 2020). Eine Reihe grundlegender Merkmale kann herangezogen werden, um Sozialsysteme international vergleichend einzuordnen und vor diesem institutionellen Hintergrund zunächst die Akzeptanz und Leistungsfähigkeit von Klimapolitik zu bewerten. Dazu gehört die Frage, welche Rolle den Institutionen Markt, Staat und Familie in der sozialen Sicherung und für die Verteilung von Einkommen zugeordnet wird. Daraus ergibt sich, inwieweit die sozialstaatliche Aktivität bestehende Statusdifferenzen akzeptiert oder überwinden möchte und ob Eigenvorsorge gegenüber sozialen Risiken erwartet wird. Eigenvorsorge stützt sich auf eigene Einkommen und Vermögen sowie Ressourcen aus dem familiären oder weiteren sozialen Umfeld. Diese Überlegungen sind für die gängige Einteilung in liberale, sozialdemokratische und konservative Wohlfahrtsstaaten prägend.

Der österreichische Sozialstaat wird als konservativer Wohlfahrtsstaat betrachtet, der eher statussichernd angelegt ist. Unterstützung durch die Familie und informelle Ressourcen wird um staatliche Absicherung, insbesondere über beitragsfinanzierte Sozialversicherungen, ergänzt. In diesem Modell kommt dem Markt (Eigenvorsorge über Erwerbsaktivität, private Versicherungen, private Angebote von gesundheitlichen und sozialen Dienstleistungen) eine kleinere Rolle zu als in liberalen Systemen. Die Rolle des Staates ist im österreichischen Sozialstaat weniger ausgeprägt als in sozialdemokratischen Wohlfahrtsstaaten, die stärker steuerfinanziert und ausgleichsorientiert sind und dazu z. B. universelle soziale Dienstleistungen bereitstellen. Die ländervergleichende Untersuchung von Fritz und Koch (2019) kommt vor diesem Hintergrund zu dem Schluss, dass die Länder, deren Bevölkerung sowohl zu Sozial- als auch zu Klimapolitik eine positive Haltung einnimmt, sich aus der Gruppe der sozialdemokratischen und (teilweise) der Gruppe der konservativen Wohlfahrtsstaaten rekrutieren. Keiner der liberalen Wohlfahrtsstaaten unter den 23 untersuchten Ländern weist diese Synergie vor. Österreich zeichnet sich durch deutlich positive Haltungen gegenüber beiden Politikfeldern aus, was prinzipiell eine sehr gute Ausgangssituation dafür ist, ökosoziale Politik zu entwickeln und zu implementieren. Ein weiterer Befund aus der gleichen Studie (Fritz & Koch, 2019) belegt allerdings sozioökonomische Unterschiede in den Einstellungsmustern: Personen mit einem höheren Einkommen und höherem Bildungsstand befürworten sowohl Sozial- als auch Klimapolitik, während für Personen mit niedrigem Einkommen und Bildungsstand die Unterstützung eines der Felder mit der Ablehnung des anderen einhergeht. Daraus lässt sich schließen, dass eine Politik des sozialen Ausgleichs, die den Zugang zu Einkommen- und Bildung erleichtert, sich auch auf die Zustimmung für integrierte ökosoziale Politik auswirkt.

Jenseits der Akzeptanz von ökosozialer Politik ist mit Blick auf die institutionelle Vulnerabilität wesentlich, ob die institutionelle Ausgestaltung des sozialen Sicherungssystems einen signifikanten Effekt auf die tatsächliche Effektivität bzw. den messbaren Erfolg von Klimapolitik besitzt. Nach der Synergiehypothese wäre davon auszugehen, dass ein gut ausgebauter Sozialstaat das Fundament legt, klimapolitische Maßnahmen zu setzen, und damit Klimaschutz und Anpassung an den Klimawandel voranzubringen. Die Ausgangsthese empirischer Untersuchungen ist, dass Sozialstaaten des sozialdemokratischen Typs (oft als „nordische Wohlfahrtsstaaten“ bezeichnet) eine bessere ökosoziale Leistungsbilanz aufweisen als liberal oder konservativ verfasste Typen. Dies wird in der empirischen Forschung in dieser Deutlichkeit nicht uneingeschränkt gestützt. Sogenannte sozialdemokratische Wohlfahrtsstaaten schneiden gemessen an umweltpolitischen Indikatoren relativ gut ab (Koch & Fritz, 2014; Zimmermann & Graziano, 2020). Das Bild für konservative Wohlfahrtsstaaten ist gemischt und über die Zeit nicht stabil. So weisen Koch und Fritz (2014) darauf hin, dass Österreich 1995 gemeinsam mit Schweden sozial- und umweltpolitische Ziele am besten synergetisch (und beide überdurchschnittlich) realisieren konnten, Österreich 2010 aber gegenüber 1995 wieder höhere CO2-Emmissionen und einen höheren ökologischen Fußabdruck vorwies. Auch Zimmermann und Graziano (2020) gelangen bei einem Vergleich von 27 Ländern zu dem Schluss, dass kein klarer Zusammenhang zwischen verschiedenen Typen von Sozialstaaten einerseits und dem Stand oder der Dynamik ökosozialer Politik besteht. Österreich wird nach den Ergebnissen auch dieser ländervergleichenden Untersuchung der Gruppe von Ländern zugeordnet, die sowohl soziale als auch ökologisch Ziele relativ gut erreichen, allerdings mit etwas Abstand zu Schweden, Dänemark, Finnland und Norwegen.

Der vorgenannte Forschungsstrang bewegt sich auf der Ebene des gesamten sozialen Sicherungssystems. Weniger systematisch und weitgreifend wird untersucht, wie (un)vereinbar bestimmte soziale Leistungen mit klimapolitischen Maßnahmen oder Zielsetzungen sind. Bezogen auf den deutschen Kontext führen z. B. Bach et al. (2020) an, dass finanzielle Anreize für klimafreundliches Verhalten (z. B. eine Prämie für den Umstieg auf öffentliche Verkehrsmittel) eventuell auf Sozialhilfeleistungen angerechnet werden. Damit würde die klimapolitische Maßnahme für diese einkommensschwache Bevölkerungsgruppe nicht wirksam. Zu solchen Effekten auf der Ebene von einzelnen sozial- oder klimapolitischen Maßnahmen liegen für Österreich keine systematischen Untersuchungen vor.

Der Frage, wie Sozialleistungen grundsätzlich nachhaltig ausgestaltet sein können, geht Bohnenberger (2020) in einem konzeptionellen Beitrag nach. Sie definiert sechs Kriterien der Nachhaltigkeit von sozialen Leistungen: (1) die Befriedigung von Bedürfnissen, (2) die Förderung sozialer Inklusion, (3) die Vereinbarkeit mit ökologischen Grenzen, (4) die Freiheit, den eigenen Lebensstil zu wählen, (5) die ökonomische Tragbarkeit sowie die Unabhängigkeit von Wirtschaftswachstum und (6) das Vorhandensein von Anreizen für eine Transformation zu gesellschaftlicher Nachhaltigkeit. Diese Kriterien legt sie an (insgesamt neun) Varianten sozialstaatlicher Unterstützung durch Geldleistungen, Sachleistungen und Gutscheinen an. Nach ihrer qualitativen Einschätzung ist keine Leistungsform im Hinblick auf die genannten Kriterien der Nachhaltigkeit klar dominant. Jede Leistungsform weist bei Erfüllung von zwei oder mehr der Kriterien (auch) negative Effekte auf. Das spricht dafür, in einem Handlungsfeld verschiedene Leistungsformen zu kombinieren. Für die Auswahl im konkreten Fall wird einerseits die Gewichtung der einzelnen Nachhaltigkeitskriterien und die Stärke der jeweiligen positiven und negativen Effekte ausschlaggebend sein. Die grundlegende Einordnung der Leistungsformen ist hilfreich, um die Optionen einerseits situativ angepasst, andererseits auch systematisch abzuwägen.

Im Fazit kann tentativ von positiven Effekten sozialstaatlicher Angebote auf die klimapolitischen Ziele ausgegangen werden, da Sozialpolitik die Akzeptanz klimapolitischer Maßnahmen absichern und auf individueller Ebene erforderliche Verhaltensänderungen beschleunigen kann. Das Potenzial dieses positiven Beitrags ist dabei in Österreich noch nicht ausgeschöpft. Das zeigt sich unter anderem daran, dass in international vergleichenden Analysen nordeuropäische Länder besser abschneiden. Auch ist mit Koch und Fritz (2014) zu schließen, dass eine „grüne“ oder „ökologische“ Gesellschaft sich nicht automatisch auf der Grundlage gut ausgebauter sozialer Sicherungssysteme entwickelt. Ergänzend zu der Literatur, die auf Basis der etablierten Wohlfahrtsstaatsklassifikation(en) die Wirkung des sozialen Sicherungssystems auf Klimapolitik betrachtet, besteht weiterer Forschungsbedarf. Zum Potenzial und den Chancen einer sozial-ökologische Politik insgesamt, bei der mittels durchdachter Maßnahmenpakete sozialpolitische und klimapolitische Ziele zueinander komplementär sind und so wirksam verfolgt werden können, siehe Abschnitt [Abschn. 18.4] und, vor dem Hintergrund der COVID-19-Pandemie, Bach et al. (2020) und Steininger et al. (2020).

Zusätzlich zu den Wirkungen sozialstaatlicher Leistungen auf die Klimapolitik müssen die unmittelbar klimawirksamen Effekte ihrer Produktion und Finanzierung berücksichtigt werden. Dies ist Gegenstand der beiden folgenden Abschnitte (Abschn. 18.2.2, 18.2.3).

18.2.2 Klimawandel und die Produktion des Sozial- und Gesundheitssektors

Der Sozial- und Gesundheitssektor erbringt Leistungen der Daseinsvorsorge. Damit verbessert er vor allem die Gesundheit der Bevölkerung, generiert Wertschöpfung und Beschäftigung, reduziert soziale Ungleichheit und verbessert die Lebensbedingungen. Dessen ungeachtet hinterlässt die Produktion von sozialen und gesundheitsbezogenen Dienstleistungen einen ökologischen Fußabdruck, der zum Klimawandel beiträgt (Gough & Meadowcroft, 2011; Ottelin et al., 2018; Pichler et al., 2019; Taylor & Mackie, 2017; Weisz et al., 2019). Dieser Abschnitt geht den Befunden zum CO2-Fußabdruck des österreichischen Gesundheitssektors und Ansatzpunkten zu dessen Reduktion nach. Entsprechende Befunde zum CO2-Fußabdruck der Bereitstellung sozialer Dienstleistungen liegen nicht vor.

Der CO2-Fußabdruck des österreichischen Gesundheitswesens wurde erstmals für den Zeitraum 2000 bis 2014 und im Vergleich zu 36 Ländern (OECD, Indien und China) untersucht (Pichler et al., 2019; Weisz et al., 2019). Entsprechende Studien mit Fokus auf die österreichische Langzeitpflege oder andere soziale Einrichtungen in Österreich sind (noch) nicht identifiziert. Weisz et al. (2019) ermittelten die CO2-Emissionen durch den direkten Energieeinsatz im Sektor wie auch durch den indirekten aufgrund von Zulieferungen aus anderen Sektoren (gebunden in Produkten und Dienstleistungen, die der Gesundheitssektor beansprucht) im Rahmen einer erweiterten multiregionalen Input-Output Analyse (MRIO). Um Länder und Sektoren vergleichen zu können, wird die sogenannte Eora-Gliederung der Wirtschaftsaktivitäten (Lenzen et al., 2013; worldmrio.com, 2022) herangezogen, hier mit einer Gliederungstiefe von 26 Produktionsbereichen (Eora-26).

Der Anteil des österreichischen Gesundheitssektors von 6,7 Prozent an den nationalen CO2-Emissionen ist im internationalen Vergleich überdurchschnittlich (Pichler et al., 2019; Weisz et al., 2019). Der internationale Durchschnitt lag 2014 bei 5,5 Prozent, mit dem geringsten Wert von 3,3 Prozent für Mexiko und dem höchsten Wert von 8,1 Prozent für die Niederlande. Gemessen an seinem Anteil am nationalen CO2-Fußabdruck belegte der österreichische Gesundheitssektor Rang 6 aus den insgesamt 34 Gesundheitssektoren der verglichenen Länder. Dabei ist zu berücksichtigen, dass Österreich relativ viel für Gesundheit aufwendet. Nach Daten der Weltgesundheitsorganisation (WHO Global Health Expenditure Database) lag allein der Anteil der laufenden (öffentlichen und privaten) Gesundheitsausgaben am Bruttoinlandsprodukt in 2014 bei 10,4 Prozent und damit auf Rang 9 der hier verglichenen Länder (WHO, 2022). Der im internationalen Vergleich überdurchschnittliche CO2-Fußabdruck des österreichischen Gesundheitswesens kann daher einerseits auf den hohen Konsum von Gesundheitsleistungen, andererseits auf die Art und Weise von deren Produktion und Bereitstellung zurückgehen.

In der sektoralen Perspektive (Eora-26) nahm das Gesundheitswesen 2014 im Median der OECD-Länder als Verursacher von CO2-Emissionen den 6. Rang (nach dem Transportsektor, Elektrizität-/Gas- und Wasserversorgung; Bauwesen, Elektronik/Maschinenbau, Petrochemie/nichtmetallische Mineralien und dem Nahrungsmittelsektor) und innerhalb des Dienstleistungssektors den 1. Rang (vor Finanzdienstleistungen) ein. Innerhalb des österreichischen Gesundheitssektors war 2014 der CO2-Fußabdruck für Krankenhäuser (inklusive der dort abgegebenen Arzneimittel und sonstigen Medizinprodukte) mit einem Anteil von 32 Prozent am größten. Der ambulante Versorgungsbereich (ohne medizinischen Fachhandel) folgte mit deutlichem Abstand (18 Prozent). Den ambulant abgegebenen medizinischen Produkten und Arzneimitteln konnten 22 Prozent der CO2-Emissionen des Gesundheitssektors zugerechnet werden. Als weiteren emissionsintensiven Bereich identifizierte die Studie den Verkehr, der durch den Gesundheitssektor induziert wird. Es ist für Österreich derzeit nicht möglich, den CO2-Fußabdruck der medizinischen Produkte und Arzneimittel gesamthaft, das heißt unabhängig davon, ob diese ambulant oder stationär verabreicht werden, auszuweisen. Das kann ein Grund dafür sein, warum der Anteil des medizinischen Fachhandels am CO2-Fußabdruck des österreichischen Gesundheitssektors kleiner und jener der Krankenhäuser größer ist als im Durchschnitt der verglichenen Länder (Pichler et al., 2019; Weisz et al., 2019).

Über den Untersuchungszeitraum hinweg verkleinerte sich insgesamt der CO2-Fußabdruck des österreichischen Gesundheitswesens trotz steigender Gesundheitsausgaben, was Pichler et al. (2019) und Weisz et al. (2019) mit einer abnehmenden CO2-Intensität der heimischen Energieproduktion und steigender Energieeffizienz in anderen Teilen der österreichischen Wirtschaft (wie auch in den Krankenhäusern) erklären. Die CO2-Emissionen aufgrund von Verkehr, der mit Produktion und Konsum von Gesundheitsleistungen verbunden ist, reduzierten sich in Österreich demgegenüber nicht, sondern wuchsen kontinuierlich.

Insgesamt deuten die Unterschiede (1) zwischen den bislang untersuchten Ländern hinsichtlich des Anteils des Gesundheitswesens am nationalen CO2-Fußabdruck und (2) der CO2-Profile über Leistungsbereiche innerhalb des Gesundheitssektors darauf hin, dass das jeweilige Gesundheitssystem mit seinen rechtlichen und organisationalen Rahmenbedingungen Einfluss auf klimawirksame Emissionen nimmt (Pichler et al., 2019; Weisz et al., 2019). Es bestehen also in diesem Sektor Handlungs- und Gestaltungsspielräume, die für die Transformation in Richtung einer klimafreundlichen Gesellschaft genutzt werden können.

Studien zur Ermittlung des CO2-Fußabdrucks sind nur ein erster Schritt, um auch bei der Versorgung der Bevölkerung mit Sozial- und Gesundheitsdienstleistungen einen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten. Um sozial- und gesundheitspolitische Ziele synergetisch verfolgen zu können, sind die Wirkungs- und Kosten-Effektivitätsanalysen von Angeboten der sozialen Sicherung um deren klimarelevante Wirkungen zu ergänzen (Hensher, 2020; Taylor & Mackie, 2017, S. e357) – wie umgekehrt z. B. energiepolitische Bewertungen die sozialpolitischen Effekte berücksichtigen müssen. Zu den klimarelevanten Wirkungen der Leistungsbereitstellung im Sozialwesen besteht Forschungsbedarf.

18.2.3 Klimawandel und die Finanzierung sozialer Absicherung

Niveau der staatlichen Finanzierung des sozialen Sicherungssystems

Die Diskussion um die Finanzierung des Sozialstaats in der De-growth- und Post-growth-Literatur fokussierte lange Zeit auf die Höhe der Sozialausgaben, die in Österreich in den Jahren vor der COVID-19-Pandemie 29 bis 30 Prozent des Bruttoinlandsproduktes ausmachten (STATISTIK AUSTRIA, 2021b). Dieses Niveau und die Aussicht, dass in der alternden österreichischen Gesellschaft der Bedarf nach Gesundheits- und Pflegeleistungen sowie der Pensionsaufwand weiter steigen, wird in der De-growth-Literatur aus zwei wesentlichen Gründen als Hemmnis für Dekarbonisierung gesehen: (1) Aufgrund begrenzter Finanzmittel bestünde Budgetkonkurrenz zwischen Sozialpolitik und anderen Politikbereichen, so auch der Klimapolitik. (2) Implizit würde damit ein Wachstumsdruck erzeugt, um zusätzliche Steuereinnahmen zu generieren (oder Staatsschulden zu bedienen). Aus dieser Sicht wäre mehr Klimafreundlichkeit nur zu erreichen, wenn der Sozialaufwand reduziert würde. Dieser Schlussfolgerung wird mit drei Argumenten widersprochen: Würde sich der Staat aus der sozialen Sicherung zurückziehen, würde erstens ein Teil der Nachfrage auf die Angebote privater Anbieter umgeleitet, deren ökologischer Fußabdruck etwa im Gesundheitswesen größer ist als jener staatlicher Dienstleister (Bailey, 2015, S. 803). Zweitens ist zu berücksichtigen, dass Sozialpolitik unter klimapolitischen Gesichtspunkten notwendig und sinnvoll ist und umgekehrt wirksame Klimapolitik das Sozialbudget mittel- und langfristig entlastet. Drittens ist weder theoretisch noch empirisch eindeutig festgestellt, wo das optimale Niveau des Sozialaufwands liegt. Der erforderliche Ressourceneinsatz müsste ausgehend von den Zielsetzungen einer integrierten ökosozialen Politik bestimmt werden [siehe dazu Abschn. 18.4] (Bailey, 2015).

Klimawandel und die Finanzierungsoptionen sozialer Sicherung

Ein zweiter Aspekt der Finanzierung sozialer Sicherungssysteme in Verbindung mit Klimawandel ist der Finanzierungsmodus. Das österreichische Sozialsystem ist überwiegend beitragsfinanziert, wobei 2020 der Anteil der allgemeinen Steuermittel an der Finanzierung auf 39 Prozent anstieg und damit einen Höchststand erreichte (STATISTIK AUSTRIA, 2021a). Im ausgabenstärksten Sozialschutzsystem, der gesetzlichen Pensionsversicherung, das grundsätzlich beitragsfinanziert ist, erhöhte sich der Anteil der Steuerfinanzierung über die Zeit und liegt nun bei 24 Prozent. Die Finanzierung über Beiträge von Beschäftigten und deren Arbeitgeber_innen knüpft die Entwicklung sozialer Sicherung eng an die Entwicklung bezahlter Beschäftigung und der Verdienste (Corlet Walker et al., 2021). In dem Maß, in dem der Übergang in eine klimafreundliche Gesellschaft mit struktureller Arbeitslosigkeit einhergeht, impliziert das Einnahmenverluste. Auch die Transformationsstrategien, die darauf zielen, unbezahlte Arbeit aufzuwerten und besser abzusichern (siehe [Kap. 8] in diesem Bericht), schmälern (unter sonst gleichen Bedingungen) die Einnahmen der beitragsfinanzierten Sozialschutzsysteme. Sollen diese Ausfälle begrenzt oder ausgeglichen werden, wären Anpassungen der Beitragsfinanzierung (erweiterte Beitragsbasis und/oder veränderte Beitragsbemessungsgrenze) oder eine verstärkte Steuerfinanzierung erforderlich. Die damit verbundenen Verteilungswirkungen, die selbst wieder auf sozialpolitische und klimapolitische Ziele rückwirken, unterscheiden sich nach den genannten Finanzierungswegen. Für Österreich besteht Forschungsbedarf zum Finanzierungsmix des Sozialstaats aus klimapolitischer oder ökosozialer Sicht. So wäre etwa auf Basis makroökonomischer Modelle und Mikrosimulationen ein Finanzierungsmix zu bestimmen, welcher das angestrebte Niveau an sozialer Sicherung verlässlich absichert und zusätzlich verteilungs- und klimapolitische Ziele gewährleistet.

Eine weitere Strategie zur Finanzierung sozialer Sicherungssysteme sind Fondslösungen, hier im Sinn der verzinslichen Veranlagung von Sondervermögen oder von eingezahlten Beiträgen. Im österreichischen sozialen Sicherungssystem kommt kapitalgedeckter Vorsorge eine untergeordnete Rolle zu. Sie findet sich vor allem in der betrieblichen Pensionsvorsorge. In Schweden und Norwegen ergänzen staatliche Fonds das umlagefinanzierte Pensionssystem. In Deutschland wurde ein Pflegefonds als Sondervermögen bei der Bundesbank eingerichtet, der sich aus 0,1 Prozent der Beiträge in die soziale Pflegeversicherung speist (Wissenschaftlicher Dienst des Deutschen Bundestags, 2017). Die Zielsetzung bei Einrichtung dieser Fonds war es, Beitragssteigerungen zu vermeiden und die Staatsbudgets auf Sicht zu entlasten. Fondslösungen bzw. Sondervermögen in der sozialen Sicherung werden sozialpolitisch insbesondere mit Blick auf die Anlagerisiken, die Individualisierung solcher Risiken und verteilungspolitische Implikationen diskutiert (mit Bezug auf betriebliche Pensionsfonds z. B. Pavolini und Seeleib-Kaiser (2018), klimapolitisch mit Bezug auf Investitionen in klimafreundliche Bereiche bzw. Innovationen (Della Croce et al., 2011)). Proponent_innen einer grundlegenden sozialökologischen Transformation stehen der Finanzialisierung allgemein kritisch gegenüber [siehe dazu Kap. 16].

Für Österreich sind aktuell keine weiteren Fondslösungen oder Sondervermögen in den sozialen Sicherungssystemen geplant. Allerdings sind in der betrieblichen Altersvorsorge inzwischen sichtbare Vermögensbestände aufgelaufen und institutionell veranlagt. Es stellt sich damit die Frage, wie diese Veranlagungen vor dem Hintergrund von Klimawandel und Klimapolitik die Transformation in eine klimafreundliche Gesellschaft betreffen.

Klimawandel und vermögensbasierte soziale Absicherung

(Kleine) Teile des österreichischen sozialen Sicherungssystems stützen sich auf die Veranlagung von Kapital. In dem Maß, in dem Investitionen in Unternehmen getätigt wurden und werden, die fossile Energie bereitstellen oder in hoher Intensität nutzen, leistet dies dem Klimawandel Vorschub. Daraus ergeben sich zwei Konsequenzen: Einerseits sind diese klimaschädigenden Veranlagungen durch die Transformation zu einer klimafreundlichen Gesellschaft von einem erheblichen Wertverlust bedroht, was die vermögensbasierte soziale Absicherung kurz- und mittelfristig herausfordert. Andererseits kann umgekehrt durch einen Wechsel zu klimafreundlicher Veranlagung ein Impuls für die angestrebte gesellschaftliche Transformation gegeben werden. Dieser Abschnitt fokussiert auf die Dimension potenzieller Wertverluste in der vermögensbasierten sozialen Absicherung. Sogenanntes Green Investment, das Anfang 2022 im Zusammenhang mit der neuen EU-Taxonomie klimafreundlicher Wirtschaftsaktivitäten intensiver diskutiert wurde (Kletzan-Slamanig & Köppl, 2021; Trippel, 2020), wird im Abschnitt Gestaltungsoption [Abschn. 18.4] aufgegriffen.

Der Klimawandel wirft das Problem neuer Anlagerisiken, etwa durch „stranded assets“ (Caldecott, 2017, 2018) auf, mit denen sich auch Anleger_innen im System der sozialen Sicherung konfrontiert sehen. Finanzanlagen sind gegenüber klimabezogenen Risiken in verschiedenen Sektoren, Regionen und Anlagekategorien (Aktien, Anleihen, Immobilien) exponiert. Dabei wird zwischen physischen Risiken etwa durch Naturgefahren und Risiken der Transition in eine klimafreundliche, dekarbonisierte Wirtschaft und Gesellschaft (etwa durch veränderte Marktbedingungen oder klimapolitische Eingriffe) unterschieden (Batten et al., 2018; Kaminker, 2018). Die Schadensanfälligkeit von Anlagen („stranded asset exposure“) bezieht sich darauf, dass Anlagegüter aufgrund klimabedingter Schädigung nicht mit der erwarteten Intensität oder Dauer genutzt werden können. Wenn Anlagen in diesem Sinn „stranden“, führt das zu Wertverlusten und vorzeitigen Abschreibungen (Barker, 2018). Die sozialen Sicherungssysteme sind mit diesen Risiken direkt konfrontiert, wenn sie kapitalgedeckt sind, das heißt Kapital zu Vorsorgezwecken angespart und veranlagt wird. In Österreich betrifft dies in erster Linie Teile der Pensionsvorsorge.

Während die öffentliche Altersvorsorge in Österreich umlagefinanziert ist, sind die betriebliche Altersvorsorge, die freiwillige private Altersvorsorge sowie die Abfertigung neu kapitalgedeckt, das heißt in diesen Bereichen werden Beitragseinnahmen am Kapitalmarkt veranlagt. Das Anlagevermögen der österreichischen Pensionskassen wird für 2021 vom Fachverband mit 27,3 Milliarden Euro beziffert, jenes der Vorsorgekassen (Abfertigung neu) auf 16,5 Milliarden Euro (Vorsorgeverband, 2022). Der Anteil der Menschen im erwerbsfähigen Alter (15 bis 64 Jahre), die ergänzend zur staatlichen Alterssicherung über betriebliche Pensionskassen oder freiwillige private Ansparlösungen vorsorgen, liegt in Österreich derzeit bei respektive 15 und 18 Prozent (OECD 2021). Ergänzend sei angemerkt, dass das kapitalgedeckte System „Abfertigung neu“ inzwischen zwar einen hohen Anteil der Arbeitnehmer_innen erfasst, die damit zu erwerbenden Ansprüche im Verhältnis zu Pensionsanwartschaften aber kleiner sind.

Im Vergleich der OECD-Länder erreichen die gesamten Pensionsvermögen in Österreich (die betriebliche Altersvorsorge und Veranlagungen, die individuell initiiert sind) ein relativ geringes Niveau. Es bewegte sich 2020 bei 6,6 Prozent der Jahreswirtschaftsleistung (BIP), verglichen mit fast 100 Prozent des BIP im Durchschnitt der OECD-Länder; nur vier Länder, Ungarn (5,6 Prozent), Türkei (3,4 Prozent), Luxemburg (2,9 Prozent) und Griechenland (1 Prozent) weisen ein geringeres Pensionsvermögen im Verhältnis zum BIP aus. Am anderen Ende der Skala liegen Dänemark, die Niederlande und Island, wo 2020 die Höhe der Pensionsvermögen das BIP um mehr als das Doppelte überstiegen (OECD, 2021).

Der Anteil der Anlagen von Pensionsfonds, die mit Klimarisiken behaftet sind, wurde für die EU auf 16 Prozent geschätzt, wovon 8 Prozent auf Anlagen entfallen, die über Dritte (etwa Banken) in Sektoren mit Klimarisiken veranlagt wurden (Battiston et al., 2017). Erste Untersuchungen umreißen auch für Österreich die bestehenden Risiken und potenziellen Verluste.

Um klimabezogene Anlagerisiken näher zu spezifizieren („Klima-Stresstest“), gehen wissenschaftliche Analysen von plausiblen Szenarien zu physischen Vermögensschäden im Zuge des Klimawandels und darauf bezogenen regulatorischen Entwicklungen aus. Ausgehend von einem solchen Szenario schätzen Semieniuk et al. (2021b) potenzielle Vermögensverluste für eine Reihe von Ländern, darunter Österreich. Für Österreich (nach gesonderter schriftlicher Auskunft der Autoren) wird der auf 2022 bezogene Vermögensverlust auf ca. 3 Milliarden US-Dollar (2,65 Milliarden Euro) geschätzt, wobei künftige entgangene Gewinne mit 6 Prozent pro Jahr diskontiert werden. Von diesen potenziellen Verlusten entfallen 29 Prozent auf Staatsvermögen, 12 Prozent auf Fondsbesitzer, 1 Prozent auf direkte Aktieneigner_innen; die übrigen Verluste sind nicht zurechenbar (Semieniuk et al., 2021b). Insgesamt deuten sich substanzielle Verluste an, die insbesondere die Pensionsvorsorge oder auch die Abfertigung neu betreffen könnten.

Die Europäische Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersvorsorge (EIOPA) hat 2019 einen Stresstest der Einrichtungen zur betrieblichen Altersversorgung in den Ländern des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) durchgeführt, der erstmals Umwelt-, Sozial- und Governance-Aspekte der finanziellen Stabilität einbezog. Das reflektierte Vorgaben einer neuen EU-Richtlinie für Betriebspensionen („IOPR II“), die in Österreich mit der Novelle des Pensionskassengesetzes (PKG) vom 30. November 2018 (BGBl I Nr. 81/2018) umgesetzt wurde. Danach müssen die Einrichtungen der betrieblichen Altersvorsorge in ihrem Risikomanagement auch neue oder aufkommende Risiken im Zusammenhang mit dem Klimawandel abbilden. Der Stresstest 2019 der EIOPA zeigt näherungsweise, wie nachhaltig die Investitionen österreichischer Pensionskassen in Bezug auf Klimawandel und Treibhausgasemissionen derzeit sind. Alle fünf überbetrieblichen österreichischen Pensionskassen waren in die Analyse einbezogen. Nicht berücksichtigt waren die drei betrieblichen Pensionskassen (Bundespensionskasse AG, IBM Pensionskasse AG, Sozialversicherungspensionskasse AG) und die acht betrieblichen Vorsorgekassen Österreichs (Veranlagung der Beiträge zur „Abfertigung neu“). Die Stichprobe der Einrichtungen aus den jeweiligen Ländern repräsentierte jeweils mindestens 50 Prozent des in diesem Bereich veranlagten Vermögens. Die österreichischen Einrichtungen, die in den Stresstest einbezogen waren, repräsentierten 92 Prozent der Veranlagungen österreichischer Pensionskassen (European Insurance and Occupational Pensions Authority, 2019).

Das Ergebnis des Stresstests der EIOPA zeigt, dass Aktienanlagen der überbetrieblichen österreichischen Pensionskassen zu mindestens 30 Prozent in jenen fünf ökonomischen Bereichen getätigt werden, die als besonders treibhausgasintensiv gelten (der Bergbausektor sowie die vier Sektoren, die absolut betrachtet die meisten Treibhausgase verantworten). Der damit verbundene CO2-Fußabdruck von Aktienanlagen (ca. 0,35 Kilogramm pro Euro Wertschöpfung) ist kleiner als im Durchschnitt aller betrachteten Einrichtungen der betrieblichen Altersvorsorge aus 16 EWR-Ländern (0,37 Kilogramm pro Euro Wertschöpfung), liegt aber über dem EU-Durchschnitt für alle Wirtschaftsbereiche (0,26 Kilogramm pro Euro Wertschöpfung). Dieser Teil der Aktienanlagen österreichischer Pensionskassen ist besonders anfällig für finanzielle Risiken, die sich aus Initiativen zur Verminderung der Treibhausgasemissionen ergeben (European Insurance and Occupational Pensions Authority, 2019).

Zusammengefasst sind die klimabezogenen potenziellen Wertverluste im Bereich der sozialen Vorsorgevermögen in Österreich (noch) überschaubar, da kapitalgedeckte soziale Absicherung in Österreich relativ schwach ausgeprägt ist. Die meisten Personen in Österreich sind über das staatliche Umlagesystem pensionsversichert. Doch ist zu bedenken, dass aus „stranded assets“ im Zuge der Transformation auch systemische Risiken entstehen können (Semieniuk et al., 2021a), die dann das Finanzwesen, die Realwirtschaft und damit sowohl den Sozialstaat als auch die Klimapolitik treffen können. Umgekehrt können die institutionellen Investoren, die soziale Sicherungsvermögen veranlagen, einen Beitrag zum Strukturwandel in Richtung Klimaneutralität leisten, indem Investitionen in klimaschädliche Bereiche zurückgeführt und Möglichkeiten für grüne Investitionen gesucht werden [siehe Abschn. 18.3.4]. Zur Schadensanfälligkeit der Anlagen, die im österreichischen sozialen Sicherungssystem getätigt werden, wie auch zu effektiver Regulierung in diesem Bereich besteht für Österreich weiterer Forschungsbedarf.

18.2.4 Fazit

Zusammenfassend kann über den Status quo der Beziehungen zwischen Klimawandel sowie Klimapolitik einerseits und sozialen Sicherungssystemen andererseits Folgendes festgehalten werden: Der Klimawandel erhöht (unter sonst gleichen Bedingungen) den Bedarf an sozialstaatlicher Aktivität, da er gesundheitliche und wirtschaftliche Schäden verursacht, die zudem ungleich verteilt sind. Klimapolitik wirkt grundsätzlich entlastend, doch sind kurzfristig negative Nebenwirkungen klimapolitischer Maßnahmen auf sozialpolitische Ziele möglich bzw. beobachtbar. Analog kann Sozialpolitik die Klimapolitik generell unterstützen, doch ist das nicht automatisch der Fall. Der Ländervergleich bzw. der Vergleich verschiedener idealtypischer Sozialstaatssysteme belegt, dass potenzielle Synergien zwischen beiden Politikfeldern unterschiedlich gut genutzt werden. Das bedeutet, dass die institutionellen Gegebenheiten wesentlich dafür sind, Sozial- und Klimapolitik wirksam zu integrieren und Gesellschaften weniger verwundbar gegenüber Klimafolgen zu machen (institutionelle Resilienz).

Österreich präsentiert sich in den vorliegenden internationalen Vergleichen zum Zusammenwirken von Sozial- und Klimapolitik auf den ersten Blick gut. Doch sind selbst jene Länder, die gemäß der vergleichenden Forschung bessere Voraussetzungen für ökosoziale Politik mitbringen, hinter ihren selbst gesteckten Klimazielen zurückgeblieben. Zudem bestehen deutliche empirische Forschungslücken, die evidenzbasierte ökosoziale Politik hierzulande erschweren. Insgesamt bleibt hinsichtlich der Pariser Klimaziele (United Nations, 2015) eine Handlungslücke bestehen, die durch strukturelle Änderungen im sozialen Sicherungssystem verringert werden kann und muss.

Der folgende Abschn. 18.3 konkretisiert Handlungserfordernisse für das österreichische soziale Sicherungssystem. Dabei wird zunächst der Anspruch präsentiert, den Sozialstaat bereits in seinem grundlegenden Design klimafreundlich zu gestalten. Anschließend werden notwendige Änderungen erneut für sozialstaatliche Leistungen, die Produktions- und Bereitstellungsaktivitäten und die Finanzierung sozialer Sicherung dargelegt.

18.3 Strukturelle Änderungen des sozialen Sicherungssystems als Voraussetzung klimafreundlichen Lebens

Aufbauend auf die Diskussion des Status quo [Abschn. 18.2] hebt dieses Teilkapitel vier Strukturmerkmale des sozialen Sicherungssystems heraus, an denen anzusetzen ist, wenn die Transformation zu einer klimafreundlichen Gesellschaft gezielt unterstützt werden soll. Handlungsnotwendigkeit im österreichischen sozialen Sicherungssystem besteht erstens dort, wo explizite oder implizite strukturelle Barrieren für den Übergang in eine klimafreundliche Gesellschaft bestehen [siehe dazu Abschn. 18.3.1]. Insbesondere setzt das Sozialsystem wichtige Rahmenbedingungen für die Handlungsfelder Erwerbsarbeit und Sorgearbeit, mit denen sich dieser Bericht an anderer Stelle befasst [Kap. 78]. Zweitens sind Maßnahmen zu treffen, um die institutionelle Vulnerabilität gegenüber dem Klimawandel und daraus folgenden sozialen Risiken zu vermindern. Diese Verwundbarkeit ist gering, wenn Regulierungssysteme und verantwortliche Träger_innen verlässlich und effektiv vorsorgen bzw. unvermeidliche klimainduzierte Schäden und Lasten kompensieren. Beides erfordert leistungsseitige Änderungen der sozialen Sicherung, namentlich deutlich mehr Präventionsleistungen sowie eine harmonisierte, sozial treffsichere Kompensation von Schäden aufgrund extremer Naturereignisse [siehe dazu Abschn. 18.3.2]. Drittens gilt es, Potenziale zu identifizieren und auszuschöpfen, um die Produktionsprozesse gesundheitlicher und sozialer Dienstleistungen strukturell klimafreundlicher zu gestalten [siehe Abschn. 18.3.3]. Viertens besteht finanzierungsseitig Handlungsnotwendigkeit im Bereich der kapitalgedeckten Sicherung gegen soziale Risiken. Dort sind, wie oben [Abschn. 18.2.4] gezeigt, klimaschädigende Investitionen zu vermeiden bzw. könnten Kapitalanlagen verstärkt in den Dienst der klimafreundlichen Innovation gestellt werden.

Die genannten vier strukturellen Ansatzpunkte zur klimafreundlicheren Ausgestaltung des sozialen Sicherungssystems werden in diesem Teilkapitel behandelt, entsprechende Lösungsansätze im Abschnitt Gestaltungsoptionen [Abschn. 18.4]. Ein zusätzliches Strukturelement, das angepasst werden muss, ist das Zusammenspiel der unterschiedlichen Akteur_innen – sowohl innerhalb des sozialen Sicherungssystems als auch mit klimapolitischen Akteur_innen. Dieser Aspekt wird nur sehr kurz und gemeinsam mit den Gestaltungsoptionen im Abschnitt [Abschn. 18.4] betrachtet.

18.3.1 Änderungen auf der Ebene des Gesamtsystems für sozialen Schutz und Ausgleich

Das österreichische soziale Sicherungssystem ist stark erwerbszentriert [siehe Abschn. 18.2.1]. In vielen Bereichen wird ein guter Schutz vor sozialen Risiken nur durch bezahlte (Vollzeit-)Erwerbsarbeit erreicht, während z. B. Bildungsphasen oder unbezahlte Sorgearbeit [Kap. 8] vergleichsweise schlecht abgesichert sind. Die sozialpolitischen Folgen dieses Systemdesigns (etwa Altersarmut in Folge von Langzeitarbeitslosigkeit, erhöhte Armutsbetroffenheit von Alleinerzieher_innen, langfristige Nachteile aufgrund informeller Pflegetätigkeit) sind Thema öffentlicher Diskussionen. Zudem – und für die Diskussion in diesem Kapitel wesentlicher – ist es aus klimapolitischer Sicht kontraproduktiv, die Finanzierung und die Leistungen der sozialen Sicherung zu eng (oder zu undifferenziert) an bezahlte Arbeit anzuknüpfen. Politische Strategien zum Klimaschutz und zur Anpassung an den Klimawandel bedingen einen wirtschaftlichen Strukturwandel – mit der potenziellen Begleiterscheinung technologischer und struktureller Arbeitslosigkeit [siehe Kap. 14]. Es entstehen in dieser Transformation, die durch den European Green Deal (European Commission, 2019) unterstützt und katalysiert werden soll, zwar neue, „grüne“ Jobs. Doch wird die Wende am Arbeitsmarkt den betroffenen Arbeitnehmer_innen berufliche Mobilität und eine (Re-)Qualifizierung abverlangen, die arbeitsmarkt- und sozialpolitisch zu flankieren ist (Bohnenberger, 2022; Janser, 2018).

Die enge Bindung sozialer Absicherung an Erwerbsarbeit kann in Österreich eine strukturelle Barriere für die Transformation zu einem klimafreundlichen Leben bilden. Klimapolitik strebt die gleichmäßigere Verteilung von Erwerbs- und Sorgearbeit (bei insgesamt weniger Erwerbsarbeit), weniger energie- und ressourcenintensive Lebensstile (verbunden mit dem Verzicht auf hohe Verdienste und Statuskonsum) und Re-Qualifizierung von Beschäftigten in klimaschädigenden Tätigkeitsfeldern (was oft erfordert, die Beschäftigung zu unterbrechen) an. Um dies sozialpolitisch zu flankieren, ist es notwendig, das soziale Sicherungssystem insgesamt stärker zu dekommodifizieren, das heißt den individuellen Zugang zu Sozialschutz weniger eng an eine bezahlte (Vollzeit-)Erwerbstätigkeit zu knüpfen (siehe dazu Bohnenberger, 2022). Ein Vorschlag dazu ist, steuerfinanzierte Lösungen zu verstärken oder (mittelfristig) das gesamte System in Richtung einer steuerfinanzierten Grundsicherung umzustellen [siehe dazu unten, Abschn. 18.4].

Auch manche Details in der Ausgestaltung oder Umsetzung von spezifischen sozialpolitischen Programmen laufen dem Übergang in eine klimafreundliche Gesellschaft strukturell entgegen. Dies lässt sich am Beispiel der Zumutbarkeitsregeln im Arbeitslosenversicherungsgesetz (1977) (AlVG § 9) illustrieren, die unter anderem überregionale Vermittlungen erleichtern. Wegzeiten (Hin- und Rückfahrt) von zwei Stunden bei Vollzeitbeschäftigung und eineinhalb Stunden bei Teilzeitbeschäftigung gelten als zumutbar. Unter besonderen Umständen können auch höhere Wegzeiten zumutbar sein, beispielsweise wenn der Dienstgeber eine Unterkunft vor Ort stellen kann, so dass nicht täglich gependelt werden muss, oder wenn die Stelle besonders gut bezahlt ist (siehe AMS, 2023). Es ist zwar im Vermittlungsprozess zu berücksichtigen, ob gesetzliche Betreuungspflichten gegeben sind (was die Ortsbindung der Arbeitssuchenden verstärken könnte), doch kann auch diese Anforderung über Angebote der Dienstgeber_innen gewährleistet sein. Weitere Sorgetätigkeiten bzw. deren faire Aufteilung im Haushalt, die klimarelevant sind [siehe Kap. 8] oder aber die klimarelevanten Folgen langer Anfahrtswege sind in dieser Regelung (AlVG § 9) nicht abgebildet.

Die Zumutbarkeitsregeln im Arbeitslosenversicherungsgesetz legen ferner fest, wann es zumutbar ist, außerhalb des erlernten Berufs zu arbeiten. Für Arbeitssuchende, die einen Berufswechsel anstreben, wären Vermittlungsangebote im erlernten (bzw. bislang ausgeübten) Beruf zumutbar, wenn sie bessere Aussicht bieten, rasch wieder in bezahlte Beschäftigung zu gelangen (etwa bei einer Wiedereinstellungszusage, siehe § 9 (4) AlVG). Dabei ist es unerheblich, ob das bisherige Berufsfeld mit klimaschädigenden Tätigkeiten oder Aktivitäten verbunden ist (was mittel- und längerfristig entsprechende Stellen gefährdet). Die Arbeitslosigkeit rasch zu beenden ist somit vorrangig gegenüber der Alternative, dem/der betroffenen Arbeitnehmer_in neue Berufsfelder zu eröffnen, die klimafreundlicher und damit langfristig sicherer sind (siehe dazu auch Bohnenberger, 2022). Im Sinn des Präventionsprinzips [siehe Abschn. 18.3.2] wäre anders zu verfahren.

18.3.2 Notwendige strukturelle Änderungen auf der Leistungsseite

Das soziale Sicherungssystem ist zumindest aus drei Gründen gefordert, leistungsseitig auf die erhöhten Risiken des Klimawandels zu reagieren und damit die Transformation in eine klimafreundliche Gesellschaft zu unterstützen. Wie oben [Abschn. 18.2.1] dargelegt, erhöht der Klimawandel erstens gesundheitliche und soziale Risiken denen u. a. durch verstärkte Präventionsanstrengungen begegnet werden kann. Der sichtbare CO2-Fußabdruck, den der Gesundheits- und Sozialsektor hinterlässt [siehe Abschn. 18.2.2], ist ein zweites gewichtiges Argument dafür, Maßnahmen der Prävention im Leistungsmix zu stärken. Investitionen in die Vermeidung sozialer und gesundheitlicher Risiken reduzieren spätere, teurere Interventionen. Dort wo Schäden dennoch nicht (vollständig) abgewendet werden können, sind drittens kompensierende Leistungen insbesondere für vulnerable Gruppen erforderlich, die stärker klimabezogenen Gefährdungen ausgesetzt sind.

Die Rolle der Prävention wird im Folgenden kurz für die Gesundheits- und die Arbeitsmarktpolitik ausgeführt. Wirksame und sozial ausgleichende Prävention und Kompensation setzen voraus, dass die jeweiligen Maßnahmen nach Art und Dosierung auf die unterschiedlichen Gefährdungs- und Bedarfslagen abgestimmt sind. Das Beispiel der Kompensation von Schäden nach externen Naturereignissen aus dem Katastrophenfonds (Fuchs & Thaler, 2018; Thaler & Fuchs, 2020) zeigt, dass diesbezüglich Nachbesserungen im österreichischen Sicherungssystem angezeigt sind.

Prävention vor Reparatur

Die klimapolitisch notwendige, strukturelle Verschiebung weg von Reparaturleistungen hin zu Prävention ist für das österreichische Gesundheitswesen sehr gut zu demonstrieren. Fast ein Drittel des CO2-Fußabdrucks im österreichischen Gesundheitswesen entfällt auf Krankenhäuser (Pichler et al., 2019; Weisz et al., 2019). Dabei besteht großes Potenzial, die Einweisungen in Krankenhäuser durch präventive und kurative Maßnahmen sowie strukturierte Behandlungsprogramme (Disease-Management Programme – DMPs) zu reduzieren, die ambulant oder im niedergelassenen Bereich verankert werden können (Renner, 2020). So liegt die Zahl der Krankenhausentlassungen und der Akutbetten pro 1000 Einwohner_innen in Österreich bei vergleichbarer Aufenthaltsdauer deutlich über dem EU-Durchschnitt. Würde die Zahl der niedergelassenen Ärzt_innen je 1000 Einwohner_innen erhöht, könnten Krankenhausfälle für ambulant behandelbare Erkrankungen (Ambulatory Care Sensitive Conditions – ACSCs) entfallen. Wäre z. B. in einem durchschnittlichen politischen Bezirk in Österreich der niedergelassene Bereich um eine Einheit verstärkt worden, hätte das nach Renner (2020) zwischen 2009 und 2013 geschätzte 590 Krankenhausfälle vermieden. Ergänzen sich niedergelassene Fachärzt_innen und Allgemeinmediziner_innen in einem Bezirk gut, reduziert sich die Zahl vermeidbarer Hospitalisierungen zusätzlich. Zielführend für eine gute Primärversorgung (und die Vermeidung teurer Folgebehandlungen) ist daher sowohl eine ausreichende Zahl niedergelassener Allgemeinmediziner_innen als auch eine gute geografische Verteilung von Fachärzt_innen (Renner, 2020).

Der Klimawandel trifft gesundheitlich vorbelastete Gruppen stärker, wobei die gesundheitlichen Einschränkungen teilweise mit sozialer Benachteiligung zusammenhängen. Prävention kann hier in dreifacher Weise ansetzen: (1) Soziale Ungleichheit wäre zu reduzieren [Kap. 17], (2) eine gute Primärversorgung für alle Bevölkerungsgruppen wäre zu gewährleisten (Renner, 2020) und (3) die Gesundheitsvorsorge inklusive der klimabezogenen Gesundheitskompetenz der Bevölkerung und des Gesundheitspersonals wäre zu verbessern (Haas, 2021; Brugger & Horváth, 2023). Gesundheitsvorsorge ist demnach in Zeiten des Klimawandels generell ein guter Ansatzpunkt und gefordert (Böckmann & Hornberg, 2020). Gesundheitsvorsorge wird etwa im Zusammenhang mit Hitzegefährdungen (Pollhammer, 2020), Flutrisiken (Wallner et al., 2020) sowie für die Handlungsfelder Ernährung (z. B. gesundheitsfördernde und klimaschützende Effekte von fleischarmer Ernährung) [Kap. 5] oder Mobilität (z. B. gesundheitsfördernde und klimaschützende Effekte von Radfahren und Zufußgehen) [Kap. 6] diskutiert.

Allerdings ist gegenwärtig der budgetäre Rahmen für Gesundheitsförderung und Prävention in Österreich eng gesteckt: Für Maßnahmen, die primär der Gesundheitsförderung und Prävention dienen, wurden 2016 (das letzte Jahr, für das diese Ausgaben systematisch erhoben wurden) von den öffentlichen Händen (Bund, Länder, Gemeinden, Fonds Gesundes Österreich, Sozialversicherungen) knapp 9 Prozent der laufenden Gesundheitsausgaben (280 Euro pro Kopf der Bevölkerung) ausgegeben (BMASGK, 2019). Präventive Maßnahmen für Personen mit bereits manifesten Gesundheitsproblemen (Tertiärprävention) ausgenommen, liegt dieser Anteil bei ca. 3,3 Prozent (bzw. 103 Euro pro Kopf der Bevölkerung) (BMASGK, 2019). Das Budget des Fonds Gesundes Österreich ist seit seiner Einrichtung in heutiger Form im Jahr 1998 nicht erhöht worden (damals 100 Millionen Schilling, im Jahr 2022 7.250.000 Euro) (Finanzausgleichsgesetz, 1997, 2017) und hat daher erheblich an Wert verloren. Prävention ist strukturell mangelfinanziert. Es ist klima- wie sozialpolitisch zielführend, Mittel im Gesundheitswesen umzuschichten und/oder zusätzliche Budgetmittel für dieses gesundheitspolitische (und ressortübergreifend wirkende) Handlungsfeld bereitzustellen.

Auch im Hinblick auf die mit dem Klimawandel zunehmenden Naturgefahren ist verstärkte Prävention bzw. Anpassung notwendig und möglich (vgl. dazu Fuchs & Thaler, 2018; Papathoma-Köhle & Fuchs, 2020). Das betrifft zunächst Aktivitäten, die nicht in den sozialpolitischen Verantwortungsbereich fallen, wie etwa die Raumplanung, Investitionen in bauliche Infrastrukturen (etwa Hochwasserschutz; Schutzmaßnahmen gegen Muren und Lawinen) oder Warnsysteme.

Das Angebot privater Versicherungspolicen zum Schutz vor den Folgen extremer Naturereignisse ist in Österreich überschaubar und wird darüber hinaus schlecht angenommen; gleichzeitig bieten die Katastrophenfonds der Länder Betroffenen nur einen begrenzten Schutz vor finanziellen Folgekosten. Eine Pflichtversicherung, die mit privaten Versicherungsangeboten kombiniert werden kann, wäre ein sozialpolitischer Weg, um die Vorsorge gegen finanzielle Schäden zu verbessern (vgl. Papathoma-Köhle & Fuchs, 2020, S. 687, 696).

Die Katastrophenfonds der Länder sind derzeit weder optimal mit sozialpolitischen Akteur_innen und Programmen abgestimmt, noch tragen sie systematisch präventiv zur Anpassung an den Klimawandel bei. So zeigte sich bei Analyse der Kompensation von Flutschäden in Österreich (Thaler & Fuchs, 2020), dass die Leistungen des Fonds sehr ungleich verteilt und nicht konsequent mit präventiven Maßnahmen, wie etwa Anreizen und Unterstützungen für geplante Umsiedlungen, verbunden sind. Die finanziellen Leistungen aus dem Katastrophenfonds wurden von betroffenen Haushalten teilweise an gleicher Stelle und wertsteigernd für die betroffene Immobilie reinvestiert. Dies ist weder nachhaltig und transformativ im Sinne der Vermeidung künftiger Schäden, noch werden die Mittel notwendigerweise im Sinn klimafreundlicher Baustandards und klimafreundlichen Wohnens [siehe Kap. 4] eingesetzt. Insgesamt könnten öffentliche Mittel aus dem Katastrophenfonds verstärkt für die Anpassung kollektiver baulicher und sozialer Infrastrukturen und damit stärker präventiv als kompensatorisch genutzt werden [siehe Abschn. 18.4].

Darüber hinaus zeigen die Befunde von Karabaczek et al. (2021), dass Haushalte aus gefährdeten Gebieten in Österreich nur punktuell und freiwillig absiedeln (etwa 2013 in Oberösterreich aus dem Eferdinger Becken). Für präventive Maßnahmen ist daher ein erhöhtes Bewusstsein der Bevölkerung für die durch den Klimawandel erhöhten Naturgefahren wesentlich. Die Wahrnehmung der Risiken ist Voraussetzung dafür, dass sich individuelles Verhalten und Entscheidungen so anzupassen, dass sich die Exposition (z. B. Wohnortwahl), Risiken für Leib und Leben sowie potenzielle finanzielle Schadensfolgen reduzieren (Papathoma-Köhle & Fuchs, 2020, S. 696–697).

Bäuerinnen und Bauern sind vom Klimawandel und Naturereignissen unmittelbar berührt und gleichzeitig kommt ihnen selbst eine Schlüsselrolle für die klimafreundliche Transformation im Handlungsfeld Ernährung [siehe Kap. 5] zu. Daher sind präventive Strategien für diese Gruppe besonders wichtig. Maßnahmen, die Bäuerinnen und Bauern im Fall extremer Naturereignisse schützen, sind strikt genommen ebenfalls (noch) kein expliziter Teil der (agrar-)sozialen Politik bzw. sind in der Regel nicht in den Sozialressorts verankert. Sie tragen allerdings implizit zur sozialen Absicherung dieser Bevölkerungsgruppe bei. Um die Prävention sowohl in sozialer als auch klimabezogener Hinsicht zu stärken, besteht Handlungsbedarf in Richtung einer besseren Abstimmung von Politikfeldern und verantwortlichen Akteur_innen.

Effektive und sozial treffgenaue Kompensation unvermeidbarer, klimainduzierter Schäden

Selbst bei verstärkter Prävention können nicht alle negativen Folgen des Klimawandels abgewendet werden, so dass Schäden systematisch und nach sozialer Vulnerabilität kompensiert werden müssen. Unvermeidbare Verluste und Schäden („Schäden jenseits von Anpassung“) etwa durch extreme Wetterereignisse, wurden für Österreich etwa von Karabaczek et al. (2021) untersucht (work in progress). Die Analyse bezieht die Schadensanfälligkeit von Vermögenswerten, unterschiedliche regionale Betroffenheiten und vulnerable Bevölkerungsgruppen (kranke und alte Menschen) nach Einschätzung von Expert_innen ein. In einem ersten Schritt (qualitative Analyse) wurden Interviews mit 26 österreichischen Expert_innen (aus Forschung, Verwaltung und Praxis) geführt und ausgewertet. Von diesem Kreis wurden insbesondere Gefährdungen durch extreme Hitze (insbesondere in Städten, aber auch mit Folgewirkungen für die Landwirtschaft) und extreme Niederschläge angeführt. Beides verursacht, da noch keine transformativen Anpassungsstrategien entwickelt sind, zu hohen nichtfinanziellen und finanziellen Schäden. Eine Illustration bieten die Folgekosten der schweren Unwetter im November 2019, die nach ersten Schätzungen alleine in Salzburg mit privaten Schäden von mindestens 20 Millionen Euro einhergingen, wovon nur etwa die Hälfte vom Salzburger Katastrophenfonds bedeckt wurden (Stangl et al., 2020, S. 16). Extreme Wetterereignisse gefährden unmittelbar Leben und Gesundheit sowie gewachsene Gemeinschaften sowie auch Realgüter (wie Immobilien).

Es besteht in dreifacher Hinsicht sozial- und arbeitsmarktpolitischer Bedarf, Maßnahmen systematisch auszubauen oder neu zu entwickeln, die die von extremen Naturereignissen betroffenen Menschen besser begleiten. Das betrifft erstens soziale und arbeitsmarktpolitische Dienstleistungen mit Brückenfunktion und soziale Infrastrukturen. Zu denken ist hier an Unterstützung bei der Bewältigung von Traumata, bei der Inanspruchnahme von staatlichen Hilfen, bei beruflicher und privater Neuorientierung (etwa nach klimainduziertem Verlust der Wohnung oder des Arbeitsplatzes), aufsuchende Sozialarbeit bei vulnerablen Gruppen. Auch (temporäre) Cooling-Center für ältere oder chronisch Kranke in extremen Hitzeperioden, wie sie etwa im Sommer 2021 vom Roten Kreuz in Wien eingerichtet wurden (Wiener Rotes Kreuz, 2021), illustrieren dieses Handlungsfeld. Zweitens sind finanzielle Hilfen über die Katastrophenfonds, ergänzende Leistungsprogramme wie z. B. Dürrehilfspakete (siehe Köstinger, 2018) oder neue Versicherungspflichten erforderlich. Dabei ist zu prüfen, wie staatliche Ad-hoc-Krisenhilfe, die verwaltungsaufwendig, verzögerungsanfällig und für Betroffene finanziell wie bezüglich der Leistungshöhe nicht gut einzuschätzen ist (Offermann & Forstner, 2019), reduziert werden kann.

Drittens berühren extreme Naturereignisse auch arbeitsrechtliche Fragen, wenn etwa der Arbeitsplatz nicht erreicht werden kann oder die Arbeitsbedingungen dort physisch nicht mehr tragbar sind. So ist es arbeitsrechtlich (abgesehen für Bauarbeiter_innen) derzeit nicht abgesichert, bei extremer Hitze den Arbeitsplatz zu verlassen; statt dessen greifen Maßnahmen des Arbeitsschutzes am Arbeitsplatz (Arbeiterkammer, 2022). Sozialpolitik muss sich daher mit neu dimensionierten Risiken und Schadenssummen, insbesondere aber mit breiter gestreuten Schadensfolgen, auseinandersetzen. Deren Bewältigung erfordert teils höher skalierte, teils neue Leistungsangebote (wie etwa die Unterstützung im Fall der Umsiedlung ganzer Ortschaften).

Ökosoziale Ausrichtung des sozialen Sicherungssystems

Wie oben [Abschn. 18.2.1] ausgeführt, sind leistungsseitig Wechselwirkungen bzw. potenzielle Synergien zwischen Sozial- und Klimapolitik verstärkt zu beachten. Sozialpolitische Maßnahmen oder Rahmensetzungen, die klimafreundliches Leben erschweren oder verhindern (etwa spezifische arbeitsmarktpolitische Zumutbarkeitsregeln, Einsatz von Mitteln aus dem Katastrophenfonds) müssen so ausgestaltet werden, dass sie zumindest klimaneutral sind. Umgekehrt gefährden etwaige unerwünschte Verteilungswirkungen von Klimapolitik soziale Ausgleichsziele. Dies kann in Folge die Akzeptanz und Durchsetzbarkeit der klimapolitischen Maßnahmen reduzieren. Daher sind sowohl tatsächliche als auch die in der Bevölkerung wahrgenommenen Verteilungswirkungen klimapolitischer Maßnahmen systematisch in den Blick zu nehmen. Soweit sich tatsächlich regressive Effekte von klimapolitischen Maßnahmen zeigen (bzw. absehbar sind), ist es erforderlich, sozialstaatlich gegenzusteuern. Dabei ist es notwendig, konsequenter als bislang schadensbegrenzende Leistungen und die Kompensation klimabezogener Schäden danach zu prüfen, ob sie sozial treffsicher sind, damit sie die maximale klimapolitische Hebelwirkung erreichen. Zudem bleiben damit die Ziele des sozialen Ausgleichs gewahrt. Dort, wo regressive Verteilungseffekte von klimapolitisch motivierten Eingriffen zwar nicht tatsächlich, aber in der Wahrnehmung der Bevölkerung auftreten (siehe z. B. Zhang et al., 2021), gilt es, Maßnahmen überzeugender zu vermitteln. Das kann z. B. gestützt auf Ex-ante- und Ex-post-Wirkungsanalysen der klimapolitischen und sozialpolitischen Effekte von Maßnahmen erfolgen (bezogen auf CO2-Bepreisung siehe z. B. Carattini et al., 2018, S. 10–11). Insgesamt besteht eine transformative Strategie darin, Sozial- und Klimapolitik umfassender zu integrieren und wirksamer zu vermitteln [siehe Abschn. 18.4].

18.3.3 Notwendige strukturelle Änderungen auf der Produktionsseite

Der österreichische Gesundheits- und Sozialsektor ist ein Produktions- und Arbeitsbereich mit über einer halben Millionen Beschäftigten (11 Prozent der österreichischen unselbständig und selbständig Beschäftigten) (STATISTIK AUSTRIA, 2019), der so wie andere volkswirtschaftliche Sektoren möglichst klimafreundlich operieren soll. Manche Produkte und Dienstleistungen anderer volkswirtschaftlicher Sektoren, die hochgradig klimaschädlich sind, werden grundsätzlich in Frage gestellt. Soziale und gesundheitliche Dienstleistungen hingegen sind unverzichtbar, auch um den in der Transition erforderlichen Strukturwandel begleiten zu können. So ist der Gesundheits- und Sozialsektor einer der Bereiche, die Arbeitsplätze bereitstellen, wo sie an anderer Stelle verloren gehen. Doch sind strukturelle Änderungen im Bereich der Produktions- und Bereitstellungsprozesse erforderlich.

Die Produktion und Bereitstellung von gesundheitlichen und sozialen Dienstleistungen wurde in Österreich noch nicht durchgängig auf ihren CO2-Fußabdruck untersucht [siehe oben, Abschn. 18.2.1]. Es sind diesbezüglich Unterschiede zwischen unterschiedlichen Kategorien von Dienstleistungen zu erwarten, grob zwischen dem Gesundheits- und dem Sozialwesen (unterschiedliche Kapitalintensität), doch auch innerhalb des Sozialwesens. Wie bereits im Beitrag zur Sorgearbeit [Kap. 8] dargelegt, sind bei mobilen Dienstleistungen die damit verbundenen Wegstrecken ein wichtiger Ansatzpunkt zur Verminderung des CO2-Fußabdrucks. Ein erstes Handlungserfordernis besteht darin, nach dem österreichischen Gesundheitswesen auch das CO2-Profil des Sozialwesens detailliert zu erfassen und damit Potenziale und Schwerpunktsetzungen für Emissionsminderungen zu erkennen.

Der CO2-Fußabdruck des Gesundheitswesens, speziell der Krankenhäuser ist in Österreich (Weisz et al., 2019) und auch für andere Länder gut erfasst. Im Rahmen eines systematischen Reviews identifizierten Alshqaqeeq et al. (2019) 48 Studien zur Verringerung des CO2-Fußabdrucks von Krankenhäusern, die auf Basis ausreichender Datengrundlagen Handlungspotenzial und -optionen aufzeigten. Konkret wurden Studien berücksichtigt, die (1) verkehrsbezogenen Energieverbrauch, (2) den direkten Energieverbrauch und/oder (3) graue Energie (in Anlagen bzw. Ausrüstung gebundene Energie) in Krankenhäusern betrachteten. Der Review zeigt, dass Krankenhäuser (bzw. Pflegepersonal, Ärzt_innen und Administrator_innen von Kliniken) ihren CO2-Fußabdruck verringern können, indem sie die räumliche Versorgungsstruktur, ihre Beschaffungen, den Einsatz von Medikamenten und Gerätschaften und die Behandlungsprotokolle optimieren. Dies ist auch für das österreichische Gesundheitswesen angezeigt [siehe Abschn. 18.4].

Zum Sektor Langzeitpflege liegen für Österreich keine entsprechenden Analysen vor; doch deuten Anhaltspunkte aus Deutschland auf Optimierungspotenzial hin. Die deutsche Arbeiterwohlfahrt (AWO), eine Trägerorganisation von 18.000 Einrichtungen, führte in den Jahren 2018 bis 2020 ein Pilotprojekt in Einrichtungen der stationären Pflege durch. Ziel war es, sich möglichen Einsparungen von Emissionen zumindest anzunähern. Auf Basis dieser Studie setzte sich die AWO im Projekt „Klimafreundlich Pflegen“ zum Ziel, Emissionen in stationärer Pflege um 87 Prozent zu reduzieren (AWO Bundesverband e. V., 2022). Es ist mangels Einblicks in die konkreten Ergebnisse der Pilotstudie nicht einzuschätzen, für welchen Zeithorizont diese Zielsetzung realistisch ist. Doch setzt das Projekt der deutschen AWO ein Signal auch für die österreichische stationäre Langzeitpflege. Es ist erforderlich, dass speziell große Träger der Langzeitpflege strukturell und systematisch Schritte zu einer klimafreundlicheren Bereitstellung setzen, sowohl in der stationären als auch in der mobilen Langzeitpflege. Emissionen in der mobilen Pflege könnten durch eine zügige Elektrifizierung der Fahrzeugflotte (Bach et al., 2020, S. 14) oder digitale Technologien (etwa Telepflege) vermindert werden.

Im eigentlichen Einsatzbereich der mobilen Pflegedienste, den privaten Haushalten der zu pflegenden Menschen, sind Emissionsminderungen schwieriger zu leisten (Aigner & Lichtenberger, 2021, S. 177). Doch finden auch in der mobilen Pflege experimentelle Tests statt, die neben Verbesserungen der Pflege positive klimapolitische Effekte haben könnten. So sollen mithilfe neuer Technologien – im Konkreten durch den Einsatz von Mixed-reality-Brillen – in Pilot-Tests (Care about Care, 2022) in Österreich, Luxemburg und Belgien in den Jahren 2022 und 2023 Wegstrecken in der mobilen Pflege reduziert und die Dienstleistungsqualität verbessert werden. Pflege- und Betreuungspersonen können in den Haushalten ihrer Kund_innen über den Einsatz der smarten Brille Kontakt zu Pflege-Expert_innen aufnehmen, die die Situation auf ihren Bildschirmen so sehen könnten, als wären sie selbst vor Ort. Wegzeiten der Kfz-Flotte der mobilen Dienste der Langzeitpflege und der damit verbundene CO2-Ausstoß könnte dadurch reduziert werden. Die „24-Stunden-Betreuung“ in ihrer aktuellen Ausprägung mit internationaler Pendelmigration über große Distanzen wäre unter dem Aspekt der Klimafreundlichkeit kritisch zu prüfen.

Das Ziel einer klimafreundlichen Bereitstellung der Dienstleistungen wäre grundsätzlich in allen Bereichen des Gesundheits- und Sozialsektors durch Entscheidungsträger_innen als handlungsleitend anzunehmen, wenn dieser Sektor rasche und spürbare Beiträge zu den Pariser Klimazielen (United Nations, 2015) beisteuern soll. Die öffentliche Beschaffung ist ein Instrument, um die Produktion und den Konsum von klimafreundlichen Gütern und Dienstleistungen zu fördern. Bei Anbieter_innen der benötigten Güter und Dienstleistungen werden dadurch der Einsatz und Entwicklung nachhaltiger Produktionsweisen beschleunigt (Peñasco et al., 2021, S. 260). Auch bei den Endverbraucher_innen kann dadurch ein Schritt in Richtung der Akzeptanz und Nutzung klimafreundlicher Konsum- und Verhaltensweisen erreicht werden (kritisch bzw. einschränkend dazu aber Halonen, 2021; Lundberg et al., 2015, 2016). Zu denken ist etwa an klimafreundliche und zugleich gesundheitsfördernde Speiseangebote in Kantinen (illustriert für Schweden: Lindström et al., 2020) etwa der Alten- und Pflegeheime, Jugendheime, Kindertagesstätten. Auch die Behörden der Gesundheits- und Sozialverwaltung können über ihre Beschaffungspraktiken einen Beitrag für eine klimafreundliche Gesellschaft leisten. Dort, wo der Staat unmittelbar die Leistung erbringt, kann er als Produzent und Arbeitgeber unmittelbar für klimafreundliche Produktion unter anderem durch grüne Beschaffungspolitik sorgen. Sofern er sich bei der Bereitstellung gesundheitsbezogener und sozialer Dienstleistungen auf private Akteur_innen (meist Nonprofit-Organisationen) stützt, ist es erforderlich, Förder- oder Leistungsverträge mit den Anbieterorganisationen systematisch in diese Richtung zu nutzen, um entsprechende Maßnahmen zu skalieren.

Der Gesundheits- und Sozialsektor ist beschäftigungsstark und inkludiert einige sehr große Arbeitgeber. Speziell öffentlichen Arbeitgebern wird eine Vorbildfunktion zugeschrieben. Abgesehen vom Anspruch, die eigentlichen Dienstleistungen klimafreundlich bereitzustellen, können diese Arbeitgeber sowohl Arbeitsverträge als auch Beschäftigungsbedingungen klimafreundlich ausgestalten. Bohnenberger (2022) nennt eine Reihe von kleinen Ansatzpunkten, die von der Gestaltung der Speisepläne in den Betriebskantinen über attraktive Teilzeit- und Karenzierungsangebote bis hin zu kostenfreien Fahrradreparaturen während der Dienstzeit (so praktiziert in einem niederländischen Hospital) reichen. Angesichts des Arbeitskräftemangels in vielen Teilen des Gesundheits- und Sozialsektors, die dessen Versorgungsfunktion treffen, sind solche Maßnahmen sowohl klima- als auch sozialpolitisch sinnvoll.

Insgesamt zeigt sich, dass Potenzial besteht, die Produktion- und Bereitstellung von sozialen Dienstleistungen klimafreundlich zu gestalten. Erforderlich sind Investitionen in Gebäude, Betriebsmittel und Beschäftigte (digitale Kompetenz). Dies erhöht zunächst den mittelfristigen Finanzbedarf im sozialen Sektor, geht jedoch längerfristig mit einem selbstfinanzierenden Effekt einher. Der negative Zirkel von hohen Treibhausgasemissionen, erhöhten Gesundheitskosten und damit wiederrum erhöhten Emissionen wird durchbrochen bzw. in sich wechselseitig verstärkende Einsparungen verkehrt.

18.3.4 Notwendige strukturelle Änderungen auf der Finanzierungsseite

Notwendige Anpassungen der Finanzierungsseite des Sozialsystems sind in diesem Beitrag bereits an anderer Stelle angesprochen [Abschn. 18.2.4 und 18.3.1]. Dazu gehört, die Finanzierung über lohnbezogene Entgelte abzuschwächen, um so soziale Absicherung weniger stark an Erwerbsarbeit zu koppeln. Darüber hinaus wurde dargelegt, dass institutionelle Anleger im sozialen Sicherungssystem, insbesondere betriebliche Pensionskassen sowie private Finanzinstitute, die Altersvorsorgeprodukte anbieten, gefordert sind, Anlagen aus klimaschädigenden Bereichen nicht nur zurückzuziehen, sondern in klimafreundliche Sektoren umzuschichten („divest-invest“).

Pensionsfonds sind das am häufigsten zitierte Beispiel der Forschung, die auf die Schnittstelle von Finanzmärkten, Wohlfahrtsstaaten und der Transformation in eine klimafreundliche Gesellschaft fokussiert. Eine Untersuchung der 1000 größten europäischen Pensionsfonds von Egli et al. (2022) ergab, dass beginnend mit 2014 bislang 13 Prozent (129) dieser institutionellen Investoren Anlagen aus Industrien mit hohem Einsatz fossiler Energieträger („braune“ Industrien) zurückgezogen haben. Ein großer Teil der entsprechenden Ankündigungen fiel in das Jahr des Pariser Klimaabkommens (2015). Der Umfang und die Qualität der angekündigten Desinvestitionen waren sehr unterschiedlich: elf der untersuchten 1000 Pensionsfonds beschränkten sich darauf, künftige Investitionen in braune Industrien auszuschließen und knapp 60 Prozent der Ankündigungen betrafen ausschließlich den fossilen Energieträger Kohle. Ob Divestments in der Folge gezielt klimafreundlich investiert wurden, blieb in dieser Studie offen. Aus Österreich waren sechs Pensionsfonds in die Untersuchung einbezogen, von denen bis September 2020 (Ende des Untersuchungszeitraums) zwei Fonds angekündigt hatten, Investitionen in fossile Energieträger zu reduzieren. Diese Divestments betrafen ein Drittel des in Österreich von Pensionsfonds verwalteten Vermögens (Egli et al., 2022).

Die Bedenken, dass bei einer „Divest-invest-Strategie“ keine ausreichende Verzinsung zu erreichen ist, um einen angemessenen Beitrag zur Alterssicherung zu erwirtschaften, werden durch eine weitere Studie etwas entkräftet. Martí-Ballester (2020) untersuchte 1546 Pensionsfonds weltweit danach, wie die Fokussierung auf bestimmte nachhaltige Investments die (risikobereinigten) Renditen beeinflusst. Danach waren Pensionsfonds, die zwischen 2007 und 2018 Sustainable Investment (SI) betrieben bzw. gemäß ESG-Kriterien (Environmental, Social, Governance) investierten, zumindest vereinzelt in der Lage, eine höhere Rendite zu erwirtschaften als konventionell veranlagende Pensionsfonds (Martí-Ballester, 2020). Dennoch, so etwa die Befunde von Rempel und Gupta (2020) und van der Zwan et al. (2019), sind Pensionsfonds bislang nicht vollständig bereit, fossile Investitionen zu beenden.

Aus diesem knappen Überblick erschließt sich, dass Vermögensanlagen, die der sozialen Sicherung dienen, verstärkt auf Basis von klimapolitischen Kriterien getätigt werden. Der Umschichtungsprozess hat allerdings erst begonnen und erfolgt teilweise in kleinen Schritten. Sollen die bereits veranlagten (und etwaige künftig zu veranlagende) Vermögen zu größeren Teilen für klimafreundliche Investitionen nutzbar gemacht werden, sind weitere Anstrengungen sowohl der institutionellen Anleger als auch der Politik [siehe Abschn. 18.4] gefragt. Investor_innen stehen vor der Aufgabe, neue Risiken und Restrukturierungsoptionen [siehe dazu unten, Abschn. 18.3.4] zu prüfen. Die Politik könnte die bestehende Regulierung der Pensions- und Vorsorgekassen (z. B. das Pensionskassengesetz) mit klimapolitischer Perspektive nachschärfen, da die Regulierung hier weniger streng gehandhabt ist als im Bankwesen (Semieniuk et al., 2021b). Die genannten Schritte von Investor_innen und Regulatoren betreffen in weiterer Folge unmittelbar die Routinen und den Auftrag der Finanzmarktaufsicht im Bereich der kapitalgedeckten sozialen Vorsorge. Nicht zuletzt bedarf es verbesserter Datengrundlagen, um ein besseres Bild von den Verlusten, die bislang für Österreich nicht bestimmten Anleger_innen zugeordnet werden können, zu erhalten.

18.4 Gestaltungsoptionen

Es gibt eine Fülle an Ansatzpunkten, um das österreichische soziale Sicherungssystem an die zahlreichen Herausforderungen des Klimawandels anzupassen und klimapolitische Anstrengungen zu unterstützen. Die institutionelle Resilienz des Gesamtsystems der sozialen Sicherung und dessen Beitrag zum klimafreundlichen Leben können insbesondere erhöht werden, indem

  • präventive Politik, speziell bezogen auf Gesundheit, neue Anforderungen am Arbeitsmarkt sowie extreme Naturereignisse und Extremwetterlagen gestärkt wird,

  • der CO2-Fußabdruck des Gesundheits- und Sozialsektors lückenlos erfasst wird und mittels klimafreundlicher Bereitstellungsprozesse konsequent reduziert wird,

  • die Schnittstellen zur Klimapolitik systematisch erfasst sowie – darauf aufbauend – Maßnahmen aus beiden Politikfeldern besser zu ökosozialen Programmen gebündelt werden,

  • die unterschiedlichen Akteur_innen (staatliche und nichtstaatliche) über föderale Ebenen, regionale Aktionsräume und Politikfelder hinweg und evidenzbasiert zusammenarbeiten.

Stärkung der Präventionspolitik

Die Stoßrichtung „Prävention“ wurde bereits im Abschnitt [Abschn. 18.3.2] mit Blick auf die Versorgungsstruktur Gesundheitswesen angerissen. Die dort zitierten Befunde von Renner (2020) sprechen für eine Stärkung der Primärversorgung im niedergelassenen Bereich, um (emissionsintensivere) Behandlungen in Krankenhäusern zu vermeiden. Weitere präventiv wirksame Schritte bestehen z. B. in der Vermittlung klimabezogener Gesundheitskompetenz (Eigenschutz bei Extremwetterlagen) (Haas, 2021) oder in Form von Hitzeplänen (Gemeinden, Betriebe, Pflegeeinrichtungen) (siehe z. B. Blättner et al., 2021; Courtney-Wolfman, 2015). Bohnenberger (2022) regt an, dass die Gesundheitsversicherung finanzielle Anreize für Beschäftigte setzt, zu Fuß oder per Rad zur Arbeit zu kommen, was gleichzeitig gesundheitsfördernd und klimafreundlich ist.

Mit Bezug auf die klimabezogenen Herausforderungen am Arbeitsmarkt kommt arbeitsmarktpolitischen Qualifizierungsmaßnahmen steigende präventive Bedeutung zu. Bei Berufsberatung, Qualifizierung sowie Vermittlung in den Arbeitsmarkt kann systematisch(er) darauf Bezug genommen werden, welche Berufsfelder klimafreundlich und damit zukunftsfähiger sind und welche klimaschädigend sind und dadurch unter Druck geraten. Auf Sicht könnten Qualifizierungsangebote auf Berufe und Sektoren beschränkt werden, die „grün“ sind. Angebote für Re-Qualifizierungen zur Arbeit in klimafreundlichen Berufen und Sektoren könnten auch für jene Arbeitnehmer_innen geöffnet werden, die noch beschäftigt sind; dies gegebenenfalls mit der Auflage, die bisherige Stelle in einem klimaschädlichen Feld nach Ende der Qualifizierung zu kündigen (Bohnenberger, 2022).

Weiters wäre das sozialpolitische Leistungsspektrum um eine effektivere Vorsorge gegen extreme Naturereignisse zu ergänzen. Um den erhöhten Risiken im Bereich der Naturgefahren (z. B. Überflutungen, Erdrutsche), die auch mit sozialer Vulnerabilität verbunden sind [siehe Abschn. 18.2.1], besser begegnen zu können, wäre (1) das Risikobewusstsein der Bevölkerung zu erhöhen, (2) eine Versicherungspflicht oder eine Pflichtversicherung gegen Naturschäden in Betracht zu ziehen und – da nicht alle Naturgefahren grundsätzlich versicherbar sind (unbekannte Höhe des zu versichernden Schadens) – (3) der Katastrophenfonds nachzubessern. Letzterer wird derzeit als nicht hinreichend wirksam (verbleibende schadensbedingte Armutsrisiken), effizient (Kürzung von Entschädigung bei Selbstversicherung) oder fair betrachtet (Papathoma-Köhle & Fuchs, 2020; Thaler & Fuchs, 2020).

Grüne Beschaffungspolitik im österreichischen Gesundheits- und Sozialsektor

Wie in den Abschnitten [Abschn. 18.2.1] und [Abschn. 18.3.3] dargelegt, besteht Potenzial, die Produktion und Bereitstellung von sozialen Dienstleistungen klimafreundlich zu gestalten. Diesen Bemühungen wäre eine konsequente Politik der Prävention [Abschn. 18.3.2] vorauszustellen, um unnötige Produktion zu vermeiden. Weitere Anstrengungen betreffen klimafreundliche Produktions- und Bereitstellungsprozesse und klimafreundliche Beschaffung. Letztere ist ein Baustein, um die eigene Produktion ökologisch zu modernisieren und strahlt gleichzeitig positiv auf klimafreundliche Anbieter_innen in anderen Sektoren ab. Dies ist angesichts des hohen Beschaffungsvolumens im Gesundheits- und Sozialwesen selbst bei Verbrauchsgütern der Fall, die außerhalb der eigentlichen Kernprozesse eingesetzt werden.

Im Hinblick auf grüne Beschaffungspolitik wurde Österreich im europäischen Vergleich bereits vor zehn Jahren ein gutes Zeugnis ausgestellt (Renda et al., 2012, S. v). Allerdings bestand bislang ein Spannungsverhältnis zwischen wettbewerbsorientierter, diskriminierungsfreier Beschaffungspolitik und der Möglichkeit für die EU-Mitgliedstaaten, höhere Umweltstandards als die im EU-Recht festgelegten einzufordern. Dies ist im Kontext der ökologischen Krise unbefriedigend und es gibt mittlerweile eine juristische Debatte, Veröffentlichungen von Urteilen und Klarstellungen, um Spielräume für eine grüne Beschaffungspolitik zu schaffen (Mélon, 2020; Pouikli, 2021). Dies ist für Österreich relevant, da es höhere umweltbezogene Standards als andere Mitgliedsstaaten setzen möchte. Eine weitere relevante Debatte dreht sich um die Frage, ob freiwillige oder verbindliche Standards eingeführt werden sollen. Letztere werden zunehmend als effektiver angesehen und es gibt Bewegung in diese Richtung. Der jüngste „Green Deal“ der EU enthält Vorschläge zur Änderung der Vorschriften für das umweltfreundliche öffentliche Beschaffungswesen von einer freiwilligen zu einer verbindlichen Regelung (Halonen, 2021).

Der Gesundheits- und Sozialsektor erbringt einen erheblichen Teil seiner Dienstleistungen in Kindergärten, Schulen, Tageszentren und sonstigen ambulanten Einrichtungen sowie in stationären Einrichtungen. Für diese Einrichtungen (aber auch Kantinen der Gesundheits- und Sozialverwaltung) sind unter anderem regelmäßig Nahrungsmittel zu beschaffen. Dies bietet einen großen gesundheits- und klimapolitischen Hebel (Lindström et al., 2020; Smith et al., 2016; siehe auch [Kap. 5] in diesem Bericht). So können klimaneutrale Speisepläne in den Kantinen der sozialen Infrastruktureinrichtungen die Nachfrage nach ökologisch angebauten Agrarprodukten unmittelbar und mittelbar (durch Verhaltensänderungen bei den versorgten Personen) erhöhen, wie etwa Befunde aus Schweden dokumentieren (Lindström et al., 2020). Es liegen zur öffentlichen Beschaffungspolitik für Nahrungsmittel Fallstudien aus einer Reihe von Ländern vor. Die Studien von Smith et al. (2016) und Testa et al. (2012) analysieren die Interessen der verschiedenen Stakeholder, die Entwicklung politischer Narrative, Multi-Level-Governance und Kompetenzfragen sowie den Grad der Sensibilisierung in öffentlichen Einrichtungen. Auch die dokumentierte Best-Practice-Lösung aus Slowenien (Best-ReMaP) bietet eine gute Orientierung und Impulse für grüne Beschaffung im österreichischen Gesundheits- und Sozialwesen.

„Grüne Veranlagung“ durch institutionelle Investoren im sozialen Sicherungssystem

Im österreichischen sozialen Sicherungssystem spielt die kapitalgedeckte Vorsorge nur eine untergeordnete Rolle (siehe oben [Abschn. 18.2.3]). Dennoch ist inzwischen mit knapp 44 Milliarden Euro eine substanzielle Summe durch betriebliche Pensionsfonds und betriebliche Mitarbeitervorsorgekassen veranlagt. Für Europa insgesamt besteht erheblicher Bedarf an zusätzlichen Investitionen, um die ambitionierten Zielwerte für Emissionsminderungen zu erreichen (Brühl, 2021; van der Zwan et al., 2019). Ein guter Teil der erforderlichen Investitionen (geschätzte 2,5 Trillionen Euro bis 2030 im 1,5-Grad-Szenario) muss aus dem privaten Sektor lukriert werden. Bislang ist es bei weitem nicht gelungen, ausreichende Mittel für grüne Investitionen, die der Anpassung an den Klimawandel dienen, zu mobilisieren (Brühl, 2021; van der Zwan et al., 2019). Die institutionellen Anleger im österreichischen sozialen Sicherungssystem könnten durch Umschichtung von emissionsintensiven zu klimafreundlichen Anlagen („divest-invest“) einen Beitrag leisten, diese Lücke zu verringern (siehe oben, [Abschn. 18.3.4]).

Eine Studie zu den Desinvestment Entscheidungen der größten 1000 europäischen Pensionsfonds (Egli et al., 2022) zeigt, dass große öffentliche Pensionsfonds eher zu solchen Entscheidungen bereit sind als private Fonds. Auch waren offene private Pensionsfonds diesbezüglich beweglicher als geschlossene betrieblichen Pensionsfonds. Letztere sind die in Österreich relevanten Pensionsfonds. Strengere klimapolitische Anforderungen wirken auf die Entscheidungen zu desinvestieren wie auch auf klimafreundliche Wiederveranlagung ein (Egli et al., 2022; Kaminker, 2018; Kletzan-Slamanig & Köppl, 2021; van der Zwan et al., 2019). Ähnlich wie im Fall der grünen Beschaffungspolitik sind auf EU-Ebene Schritte gesetzt worden (EU Sustainable Finance Strategy), den regulatorischen Rahmen für grüne Veranlagen zu verbessern und zu innovieren (Brühl, 2021; Kletzan-Slamanig & Köppl, 2021; Trippel, 2020). Dazu gehört, Investitionsentscheidungen durch eine grundlegende Taxonomie nachhaltiger Investitionen zu regeln („EU-Taxonomy“), nichtfinanzielle Berichtspflichten von Unternehmen zu erhöhen und die Finanzaufsicht zu stärken. Die Kontroverse um die Einordnung von Investitionen in Atomenergie und Erdgas in die EU-Taxonomie war ein beherrschendes mediales Thema zu Jahresbeginn 2022. Präzisierungen oder alternative Taxonomien sind zu erwarten. Die jüngsten EU-Initiativen sind im internationalen Vergleich zwar weitgehend, umfassen jenseits der Berichtslegung allerdings kaum verbindliche Elemente (Brühl, 2022) für die institutionellen Anleger.

Die vorgenannten Gestaltungsmöglichkeiten im Bereich „green finance“ liegen nicht bzw. nur bedingt im Bereich der Akteuer_innen des sozialen Sicherungssystems. Allerdings kann bei der Rekrutierung der verantwortlichen Vorständ_innen und in der Vertragsgestaltung mit diesen Personen darauf hingewirkt werden, dass das Management der Pensionsfonds grüne Veranlagung aktiv angeht. Brühl (2021, S. 11) regt an, die variablen Teile der Vorstandsvergütung stärker bzw. effektiver als bisher an grüne Veranlagungserfolge zu binden. Die regulatorischen Pflichten bilden Minimalziele ab, die auch überschritten werden können. Darüber hinaus können die Beschäftigten bzw. Haushalte, die betriebliche oder private Pensionsvorsorge betreiben, stärker für dieses Thema sensibilisiert werden. Sozialpolitisch wird das Thema „gestrandeter“ Vorsorgevermögen weiters ein Thema, wenn für kleinere Einkommen finanzielle Verluste kompensiert werden sollen. Die dafür erforderlichen Summen wären nach Schätzung von Semieniuk et al. (2023) tragbar, da untere Einkommensgruppen nur kleine Teile der denkbaren Vermögensverluste tragen.

Integrierte sozial-ökologische Politik

Entgegen den Erkenntnissen zu Wechselwirkungen zwischen den beiden Politikfeldern [siehe Abschn. 18.2.1 und 18.3] sind klimapolitische und sozialpolitische Maßnahmen in Planung und Umsetzung bis dato eher punktuell als strategisch und institutionell integriert. Blinde Flecken in der Betrachtung klimarelevanter Aspekte sozialer Sicherung und die geringe Koordination zwischen Sozial- und Klimapolitik können die Effektivität des Handelns in beiden Politikfeldern vermindern. Nachfolgend wird für zwei konkrete Maßnahmenbereiche näher ausgeführt, welche Möglichkeiten bestehen, durch die Kombination von Instrumenten sozial- und klimapolitische Ziele komplementär zu verfolgen. Das erste Beispiel, die CO2-Bepreisung, korrespondiert mit dem oben [Abschn. 18.2.1] angesprochenen Problem (potenziell) negativer Nebenwirkungen von Klima- auf Sozialpolitik. Das zweite Beispiel, Abschwächung des Erwerbsbezugs sozialer Sicherung, vermittelt, wie auf der Ebene des Gesamtsystems der sozialen Sicherung explizit klimapolitische Ziele berücksichtigt werden können.

Die CO2-Bepreisung gilt als klimapolitisch wirksames Instrument, das, wie in Abschnitt [Abschn. 18.2] dargelegt, Nebenwirkungen auf sozialpolitische Ziele haben kann (siehe dazu u. a. BMSGPK, 2021; Lechinger & Six, 2021; Peñasco et al., 2021). Im Sinn sozial-ökologischer Politik, bei der sich die klimapolitische Maßnahme aufgrund verbesserter Akzeptanz mittel- und langfristig selbst verstärkt, bestehen Möglichkeiten, negative Nebenwirkungen abzufangen. Insbesondere können (zunächst) Einnahmen aus der CO2-Bepreisung so eingesetzt werden, dass unerwünschte Verteilungswirkungen ausgeglichen werden. Die Einnahmen aus CO2-Steuern nehmen allerdings über die Zeit mit der gewünschten Lenkungswirkung ab. Vulnerable Gruppen, die ihr Verhalten nicht bzw. nicht so rasch anpassen können, wären dann gegebenenfalls aus anderen Mitteln zu kompensieren. Da Klimapolitik klimainduzierte Kosten im sozialen Sicherungssystem verringert (durch Vermeidung gesundheitlicher Schäden, siehe [Abschn. 18.2.1]), entstehen dafür grundsätzlich budgetäre Spielräume.

Es bestehen verschiedene Gestaltungsmöglichkeiten, um die ökologischen Lenkungseffekte der CO2-Bepreisung ohne (oder mit verminderten) verteilungspolitischen Trade-offs zu erreichen. Den Verteilungswirkungen von CO2-Steuern kann etwa durch pauschale Rückvergütungen (wie dem „Ökobonus“ für Privathaushalte), verringerte Steuern oder verringerte Sozialabgaben auf Erwerbseinkünfte entgegnet werden. Ein nach Einkommen differenzierter Transfer kann sozioökonomisch schwächeren Bevölkerungsteilen, die weniger oder keine Steuern zahlen, wirksam abfangen. Öffentliche Investitionen in soziale Infrastruktur bilden eine weitere Möglichkeit der Kompensation. Wird etwa im Sozialen Wohnungsbau in energieeffizientere Wohngebäude investiert, ist das klimapolitisch wirksam und kann Energiearmut vermeiden bzw. reduzieren (Seebauer et al., 2019).

Mayer et al. (2021) bewerten solche alternativen Möglichkeiten zur Verwendung der durch eine CO2-Bepreisung generierten Einnahmen. Die größte Wirkung auf die Reduktion der Emissionen ist nach ihrer Simulation dann gegeben, wenn die höhere Bepreisung von CO2 nicht gezielt kompensiert wird. Aus den zusätzlichen Steuereinnahmen könnten zusätzliche öffentliche Güter (klimafreundliche Infrastrukturen) für private Haushalte finanziert werden, die ebenfalls entlastend auf private Budgets wirken. Unter der Annahme, dass solche öffentlichen Infrastrukturangebote allen Haushalten in gleicher Weise zugute kommen, ist das von Mayer et al. (2021) simulierte Ergebnis für die Gruppe der einkommensschwächeren Haushalte vorteilhafter als ein voraussetzungsfrei gewährter Pro-Kopf-Klimabonus. Ein Verzicht auf gezielte Kompensation scheint nach diesem Befund verteilungspolitisch akzeptabel. Die Ergebnisse der auf Österreich bezogenen Simulationsstudie von Kirchner et al. (2019) unterstützen dagegen nach Einkommen differenzierte Transfers.

Die Simulationsstudie von Lechinger und Six (2021) geht von einer hypothetischen CO2-Steuer in Höhe von 50 Euro pro Tonne CO2 aus. Je nach Szenario (mit/ohne Kompensation; pauschale versus einkommensabhängige Kompensation) sowie abhängig von der betrachteten Haushaltskonfiguration weisen ihre Modellrechnungen armutsvermindernde oder armutserhöhende Wirkungen aus. Ohne Kompensation wirkt die CO2-Bepreisung regressiv. Der Anteil armutsgefährdeter Haushalte steigt um 13 Prozent an. Im Szenario mit pauschaler Rückvergütung mit Kinderzuschlag wird ein sozial kontraproduktiver Effekt auf die Armutsgefährdung zwar weitgehend, aber nicht für alle Haushaltstypen vermieden. Bei einer einkommensabhängigen Rückvergütung (und Kinderzuschlag) treten sowohl die gewünschten Lenkungswirkungen der CO2-Bepreisung auf den Energieverbrauch als auch eine Verbesserung der Armutsgefährdungsquote ein (BMSGPK, 2021; Lechinger & Six, 2021).

Eine weitere rezente (simulative) Studie zur sozial-ökologischen Ausgestaltung von CO2-Steuern aus Österreich (Eisner et al., 2021) weist in eine ähnliche Richtung. Sie nimmt darauf Bedacht, dass Haushalte abhängig von einer Reihe von Merkmalen (und je nachdem auf welche energieintensiven Güter die CO2-Steuer zielt) sehr unterschiedlich durch CO2-Bepreisung betroffen sein können. Unter den verglichenen Kompensationsmöglichkeiten sind demnach alle geeignet, verteilungspolitische Nebenwirkungen zu mildern. Die besten Ergebnisse erzielen Kompensationsmaßnahmen, die nach dem Einkommen und weiteren mit der Vulnerabilität verbundenen Haushaltsmerkmalen (z. B. Wohnsitzregion, Heizungssystem) differenzieren. Insgesamt ist die Befundlage für Österreich noch ausbaufähig. Zudem wäre zu prüfen, welcher Weg, die Einnahmen aus der CO2-Bepreisung zu recyceln der Bevölkerung zu vermitteln ist. Zum letzteren Punkt besteht Forschungsbedarf.

Auf der Ebene des Gesamtsystems sozialer Sicherung ist in Österreich die Abschwächung des ausgeprägten Erwerbsbezugs beim Zugang zu sozialen Sicherungsleistungen sozial- und klimapolitisch von Interesse. Vorschläge aus der De-growth-Literatur, die auf nachhaltige Arbeit bezogen sind (etwa Arbeitszeitverkürzung und Ausbau von Teilzeitarbeit (Bohnenberger, 2022) oder eine Aufwertung unbezahlter Arbeit) würden im gegebenen erwerbszentrierten sozialen Sicherungssystem mit Sicherungslücken für die daran partizipierenden Gruppen einhergehen. Damit stellt sich die Frage nach Möglichkeiten, Grundbedürfnisse (teilweise) unabhängig von Erwerbsarbeit zu decken [siehe oben Abschn. 18.3.1]. Dieser Aspekt wird als „Dekommodifizierung“ bezeichnet. Als diesbezügliche Gestaltungsoptionen stehen zum einen die Transformation begleitende, temporäre Lösungen wie z. B. ein Übergangsgeld oder Kurzarbeitsmodelle (z. B. ähnlich jenen, die zur Bewältigung der COVID-19-Pandemie entwickelt wurden) und unterschiedlichste Konzepte eines steuerfinanzierten Grundeinkommens im Raum (siehe etwa Howard et al., 2019; MacNeill & Vibert, 2019). Zum anderen könnte die Bindung der sozialen Absicherung an Erwerbsarbeit durch den universellen Zugang zu wesentlichen Leistungen der Daseinsvorsorge („universal services“) oder Einführung eines Maximaleinkommens abgeschwächt werden (siehe Bohnenberger, 2020 und die dort zitierte Literatur; Howard et al., 2019).

Die Idee eines (bedingungslosen) Grundeinkommens reicht bis in die 1970er Jahre zurück (vgl. Howard et al., 2019), wird intensiv beforscht (MacNeill & Vibert, 2019, S. 2 f.) und kontrovers diskutiert (Van Parijs & Vanderborght, 2017). Ursprünglich war die Entwicklung der Grundeinkommensmodelle verteilungspolitisch motiviert und nahm keinen Bezug auf die Bekämpfung des Klimawandels. Es ist daher nicht automatisch gewährleistet, dass bisher vorliegende Konzepte eines Grundeinkommens automatisch klimapolitische Ziele unterstützen (Howard et al., 2019, S. 116). Als Element eines klimafreundlichen Sozialsystems kämen nur die Varianten eines Grundeinkommens in Frage, die dekarbonisierend wirken. Dann wird von einem Postwachstums-Grundeinkommen („degrowth basic income“), einem ökologischen Grundeinkommen („green oriented basic income“) (Howard et al., 2019, S. 119–120) oder einem grünen Grundeinkommen („green basic income“) (MacNeill & Vibert, 2019, S. 1) gesprochen.

Das Problem liegt darin, dass der Forschungsstand theoretisch wie empirisch noch unzureichend ist, um eine konkrete Gestaltungsempfehlung für ein ökologisches Grundeinkommen zu präsentieren. Nach den Ergebnissen einer systematischen Literaturrecherche von Mac Neill & Vibert (2019, S. 3) nahmen bis 2018 weniger als 1 Prozent der zu unterschiedlichen Konzepten des Grundeinkommens in englischer Sprache publizierten Fachaufsätze Bezug auf die natürliche Umwelt. Die insgesamt acht identifizierten Studien, die die ökologische Komponente explizit adressierten, wurden in ein und derselben Sonderausgabe der Zeitschrift „Basic Income“ im Jahr 2010 publiziert. Darüber hinaus liegen einige Monographien und Buchbeiträge mit diesem Fokus vor, z. B. bereits Anfang der 1990er Jahre Offe (1992). Aus der vorliegenden Literatur können einige grundlegende Argumente zur klimapolitischen Sinnhaftigkeit und zur Ausgestaltung von Grundeinkommensmodellen mitgenommen werden.

Aus klimapolitischer Sicht sprechen folgende Aspekte für ein Grundeinkommen (siehe Howard et al., 2019; MacNeill & Vibert, 2019; Malmaeus et al., 2020, S. 3 f.): Ein bedingungsloses Grundeinkommen könnte den Wachstums- und Konsumdruck verringern. Individuen, so ein Argument, könnten sich ökonomisch abgesichert verstärkt Aktivitäten widmen, die einen geringeren ökologischen Fußabdruck hinterlassen, darunter unbezahlte Arbeit sowie bestimmte Freizeitaktivitäten (Howard et al., 2019, S. 112). Mit einem angemessenen Mindesteinkommen wären insbesondere die Sorgearbeit oder lokale Selbstversorgung besser abgesichert, die klimafreundlicher ist als Erwerbsarbeit. Emissionen könnten konkret dann sinken, wenn die arbeitsbezogene Mobilität abnimmt [siehe Kap. 6 in diesem Bericht] und wenn sich mit veränderten Strukturen der Zeitverwendung klimafreundlichere Ernährungs-, Konsum- und Freizeitgewohnheiten [siehe Kap. 5 und 9 in diesem Bericht] etablieren (siehe MacNeill & Vibert, 2019, S. 3, 6 und die dort zitierte Literatur). Zweitens könnte der Übergang zu einer klimafreundlichen Produktion flankiert (und damit politisch durchsetzbarer) werden, da ein Grundeinkommen auch strukturelle Arbeitslosigkeit materiell absichern würde. Drittens ist denkbar, dass sich Statuskonsum verringert.

Gegen ein Grundeinkommen als Mittel zur klimapolitisch angestrebten, stärkeren Entkopplung von (Vollzeit-)Erwerbsarbeit und Sozialschutz spricht, dass ein Grundeinkommen auch konsumsteigernde Wirkung haben könnte. Die Aktivitäten, die die Erwerbsaktivitäten (teilweise) ersetzen, sind nicht notwendigerweise emissionsärmer [siehe Kap. 9 in diesem Bericht]. Darüber hinaus kann das Grundeinkommen klimaschädigenden Konsum der einkommensschwächeren Teile der Bevölkerung erhöhen. Selbst die direkte Umverteilung zulasten der wohlhabendsten und zugunsten der ärmsten Gruppen, die die Pro-Kopf-Einkommen nicht verändern würde, brächte diesen Effekt mit sich, da einkommensschwächere Gruppen einen größeren Anteil ihres Einkommens auf Konsum verwenden (MacNeill & Vibert, 2019, S. 4–6).

Wie hoch ein ökologisches Grundeinkommen zu bemessen ist, lässt sich daher bislang theoretisch und empirisch nur andeuten (Howard et al., 2019; MacNeill & Vibert, 2019; Malmaeus et al., 2020). Das Niveau eines ökologischen Grundeinkommens müsste einerseits so hoch sein, dass Individuen bezahlte Erwerbsarbeit zugunsten von Aktivitäten mit geringerem CO2-Fußabdruck aussetzen, deutlich reduzieren oder aufgeben können und wollen (Howard et al., 2019, S. 119). Nur das Subsistenzniveau abzusichern, würde dem verteilungspolitischen Ziel des Grundeinkommens nicht ganz gerecht werden (MacNeill & Vibert, 2019). Andererseits dürfte ein Grundeinkommen nicht zu hoch bemessen sein, um den konsumerhöhenden Effekt zu vermeiden (MacNeill & Vibert, 2019). Ein großzügiges universelles Grundeinkommen, das andere Programme der Einkommenssicherung weitgehend ablöst, könnte nicht kurzfristig und in einem Schritt eingeführt werden, da Ansprüche an bestehende Systeme erworben wurden. Im Übergang könnte daher der Finanzierungsaufwand für die soziale Sicherung steigen (Howard et al., 2019, S. 126; Malmaeus et al., 2020). Andere Vorschläge gehen umgekehrt dahin, ein universelles Grundeinkommen über die Zeit (mit den Fortschritten im Umstieg auf eine klimafreundliche Produktion bzw. klimafreundliche Lebensstile) abzusenken (MacNeill & Vibert, 2019, S. 2). Damit würde man von einem universellen, für alle garantierten Grundeinkommen zu einem garantierten Mindesteinkommen für ausgewählte Bevölkerungsteile oder für bestimmte Lebensphasen übergehen. Es gäbe eine Form von Grundeinkommen während der Phase der Transition in eine klimafreundliche Gesellschaft und eine andere Form von Grundeinkommen, nachdem die Transformation abgeschlossen ist.

Um klima- und sozialpolitische Ziele eines Grundeinkommens effektiv verbinden zu können, wird zudem empfohlen, ein ökologisches Grundeinkommen mit anderen Maßnahmen zu kombinieren (Howard et al., 2019; MacNeill & Vibert, 2019). Eine Möglichkeit könnte sein, alternative Zeitverwendungen (Bildung, Sorgearbeit) attraktiver auszugestalten, indem ein Teil des Grundeinkommens nur bei Nachweis solcher Aktivitäten ausgezahlt wird (MacNeill & Vibert, 2019). Neue Modelle zur Verkürzung von Arbeitszeiten könnten implementiert werden, was in Österreich eine Aufgabe der Sozialpartnerschaft wäre (siehe Bohnenberger, 2022; Gerold, 2017; Howard et al., 2019, S. 126). Es wird außerdem vorgeschlagen, das universelle Grundeinkommen (teilweise) durch Gutscheine zu ersetzen („universal basic vouchers“), die nur für klimafreundliche Konsumaktivitäten nutzbar sind oder auf universellen Zugang zu Leistungen der Daseinsvorsorge zu setzen („universal basic services“) (Bohnenberger, 2020). Klima- und verteilungspolitisch wird schließlich alternativ zu einem ökologischen Grundeinkommen ein maximales Einkommen als effektiver betrachtet, Statuskonsum zu reduzieren (Alexander, 2014; Howard et al., 2019, S. 123 f.).

Insgesamt ist festzuhalten, dass die Klimafreundlichkeit eines steuerfinanzierten Grundeinkommens von dessen spezifischer Ausgestaltung abhängig ist. Ein so genanntes ökologischen Grundeinkommen stellt den Anspruch das soziale Sicherungssystem sozial- und klimaverträglich zu dekommodifizieren. Die Bedingungen, unter denen speziell die großzügige Variante eines universellen und bedingungslosen Grundeinkommens dies leisten kann, sind bislang weder für Österreich noch für andere Länder bzw. Kontexte ausreichend konkretisiert. Auch hinsichtlich der Gestaltungsoptionen „Maximaleinkommen“ und „universelle Sachleistungen“ bestehen zumindest für Österreich Forschungslücken.

Unabhängig von der Einführung eines steuerfinanzierten, bedingungslosen Grundeinkommens, das die Struktur des sozialen Sicherungssystems grundlegend verändern würde, können die dahinterstehenden Ziele über kleinere Schritte im gegebenen Rahmen verfolgt werden. Dazu wäre in einzelnen Zweigen der sozialen Sicherung der Zugang zu Leistungen und die Höhe der Leistungen für Personen zu verbessern, die nicht bzw. nicht durchgängig vollzeiterwerbstätig sind und die Beitragsbelastung abzuschwächen. Ein Modell Darüber hinaus existiert ein Spektrum von Möglichkeiten, die Arbeitswelt klimafreundlich zu gestalten. Dies setzt Innovationen in der staatlichen Sozialpolitik und in der Arbeitsmarktpolitik (einschließlich arbeitsrechtlicher Neuerungen) sowie Maßnahmen der betrieblichen Sozialpolitik und Aktivitäten der Sozialpartner voraus (Bohnenberger, 2022). Im Abschnitt [Abschn. 18.3.2], wurde bereits auf möglichen Anpassungsbedarf bei den Zumutbarkeitsregeln im Arbeitslosenversicherungsgesetz hingewiesen. Mit Bezug auf Politiken zur Verkürzung von Arbeitszeiten wäre eine der genannten Gestaltungsoptionen, die Arbeitgeber_innenbeiträge zur Sozialversicherung abhängig vom zeitlichen Beschäftigungsumfang der Arbeitnehmer_innen zu setzen; etwa mit den geringsten Beitragssätzen für einen Beschäftigungsumfang von 25 Stunden pro Woche (Bohnenberger, 2022). Die „Solidaritätsprämie“ ist ein Konzept, bei dem Arbeitnehmer_innen mit Förderung des Arbeitsmarktservice ihre Arbeitszeit verkürzen können, vorausgesetzt, die Arbeitgeber_innen stellen im Gegenzug arbeitslose Personen ein (Figerl, Jürgen et al., 2021). Weitere Möglichkeiten der Arbeitszeitverkürzung, auch ohne staatliches Zutun, sind für Österreich in einigen Betriebsfallstudien aufbereitet worden (Astleithner & Stadler, 2021).

Institutionelle Verankerung ökosozialer Politik

Die Vielzahl der Akteuer_innen im sozialen Sicherungssystem ist groß. Soziale Sicherung und sozial-ökologische Infrastrukturen werden im föderalen System vom Bund, von den Ländern und Gemeinden gestaltet (Multi-Level-Governance). Dabei sind Rahmensetzungen und Ressourcen der Europäischen Union, einem supranationalen Träger, wirksam. Dazu kommen selbstverwaltete Sozialversicherungsträger, Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften, Träger der betrieblichen Vorsorge, soziale Dienstleister aus dem For-profit- und Nonprofit-Sektor sowie private Pensions-, Lebens- und Krankenversicherer (Multi-Actor-Governance). Speziell Armuts- und Verteilungsfragen und die klimabezogenen Herausforderungen sind Querschnittsaufgaben, die viele Akteur_innen und Ressorts tangieren. Daher sind Institutionen, die Promotoren ökosozialer Politik sein können, sowie Strukturen für eine stabile Kooperation wesentlich, um institutionelle Vulnerabilität gegenüber dem Klimawandel zu vermindern (Papathoma-Köhle et al., 2021).

Der Bericht zu den sozialen Folgen des Klimawandels in Österreich stellt diesbezüglich fest: „Es besteht hohe Bereitschaft an einer engeren Kooperation zwischen Klima- und Sozialpolitik. In der vertikalen Politikintegration zwischen Bundes-, Landes- und Gemeindeebene werden klare Zielvorgaben, Umsetzungspläne und Rahmenbedingungen gewünscht. In der horizontalen Politikintegration zwischen Fachabteilungen besteht bereits informeller Austausch, der durch Abstimmungstreffen oder koordinierende Stellen vertieft und institutionalisiert werden könnte.“ (BMSGPK, 2021, S. 5–6)

Im Juni 2023 wurde mit einer Novelle des Energieffizienzgesetzes eine „Koordinierungsstelle zur Bekämpfung von Energiearmut“ beim Klima- und Energiefonds gesetzlich verankert. Hier sollen Aktivitäten von Behörden, Gebietskörperschaften, die Energiewirtschaft und die Sozialwirtschaft abgestimmt und ein verbesserter Zugang zu Maßnahmen erreicht werden. Die Implementierung der Koordinationsstelle und ihre Effekte bleiben abzuwarten. Doch deutet sie institutionelle Innovation in die beschriebene Richtung an.

Für die intersektorale Kooperation zwischen Landesregierungen, dem Arbeitsmarktservice und Betrieben wurden in der Steiermark die (Implacement) Klimastiftung Steiermark eingerichtet (move-ment, 2020). In dieser institutionalisierten Kooperation werden arbeitslose Menschen für Arbeitsstellen qualifiziert, die in den beteiligten Betrieben aus dem Sektor Klima, Energie und Umwelt zu besetzen sind. Die Stiftungsmittel sichern ein Einkommen während der Qualifizierung. In einem vergleichbaren Konstrukt in Oberösterreich (Pflegestiftung) wurden vom Stellenabbau betroffene Beschäftigte des Luftfahrtzulieferers FACC aus ihrem technischen Beruf für eine Re-Qualifizierung zur Tätigkeit in der Pflege rekrutiert. Mit einem umfassenderen Auftrag, ökosoziale Programme zu entwickeln und zu evaluieren sowie fallspezifisch die dazu passenden Akteuer_innen einzubinden, könnte eine eigene Institution dauerhaft eingerichtet werden.

Ein produktives Zusammenspiel der verschiedenen Ebenen und Akteur_innen setzt voraus, dass Sach- und Wertkonflikte ausverhandelt werden können. Sachkonflikte lösen sich auf der Grundlage harmonisierter und vollständiger Datengrundlagen, etwa zum CO2-Fußabruck von sozialen Einrichtungen und Programmen. Auf dieser Datenbasis können klimabezogene Kriterien in Wirkungs- und Effizienzanalysen gesundheits- und sozialpolitischer Programme integriert werden. Die Evaluierungen dienen erstens dazu, Operation und Umsetzung vereinbarter Programme einem Realitätscheck zu unterziehen (formative Prozessevaluierung). Zweitens geht es darum, ihre Wirksamkeit mit Blick auf die Erreichung sozial- und klimapolitischer Ziele zu prüfen (Outcome-Evaluierung).

Anders als bei herkömmlichen Wirkungsanalysen oder Kosten-Effektivitäts-Abschätzungen wäre in der Evaluierung ökosozialer Politik ein besonderes Augenmerk auf die Einbindung der Zielgruppen und die Verteilungswirkungen der Maßnahmen zu legen. Auf diese Weise wird die unterschiedliche Vulnerabilität verschiedener Bevölkerungsgruppen gegenüber dem Klimawandel (siehe dazu [Abschn. 18.2.1]) abgebildet. Die wissenschaftliche Evaluierung ökosozialer Politik unter Einbindung aller maßgeblichen Stakeholder ist eine wesentliche Voraussetzung dafür, soziale und klimapolitische Anliegen im österreichischen sozialen Sicherungssystem wirksam zu verbinden.

Im föderalen Kontext können unterschiedliche Lösungen in unterschiedlichen Bundesländern realisiert werden. Das schafft Experimentierfelder für ökosoziale Politik, erschwert aber auch deren flächendeckende und koordinierte Durchsetzung. Ein Lerngewinn für alle setzt voraus, dass die jeweils erzielten Ergebnisse konsequent vergleichend evaluiert werden. Damit dies möglich ist, müssen politisch verantwortliche Entscheidungsträger_innen evidenzbasierte Politik zulassen und aktiv unterstützen (Investitionen in Datengrundlagen; Datenzugang, Offenlegung und Diskussion von Evaluierungsergebnissen, Deliberation).

Um institutionalisierte ökosoziale Politik an Evidenz zu orientieren, ist ein guter Austausch zwischen den Akteur_innen in Politik und Exekutive auf der einen Seite und der Wissenschaft auf der anderen Seite erforderlich. Dazu, wie das Design sozialer Sicherungssysteme (Trägermix, Instrumente, Finanzierungsgrundlagen) mit Blick auf klimafreundliches Leben optimiert werden kann, besteht insgesamt noch erheblicher empirischer Forschungsbedarf für Österreich. Bezüglich der Forschung zu ökosozialer Politik ist festzustellen, dass Beiträge aus unterschiedlichen, oft getrennten Forschungssträngen stammen (Ökologische Ökonomie, Sozialpolitikforschung, Gesundheitswissenschaft, Technikwissenschaft). Zwischen den Forschungssträngen könnten über entsprechend ausgestaltete Programme der Forschungsförderung Verbindungen hergestellt werden.